Die Menschen sind merkwürdig

Alles Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. So sagt es der Volksmund und es ist unbestritten, dass Pferde die Menschen faszinieren. Ob es Black Beauty, Fury oder Ostwind sind – das Pferd ist für viele Menschen ein Begleiter geworden, mit dem sie viel Zeit verbringen. So viel also zu unserer Sicht. Aber wie finden eigentlich die Pferde den ganzen Zirkus, der um sie herum veranstaltet wird? Unsere Redakteurin Amelie hat hier einen Perspektivwechsel versucht.

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Die Menschen sind wirklich merkwürdig. Jeden Morgen das gleiche Spiel: Sie kommen und versuchen, mich von meiner schönen, grünen Koppel zu holen, um sich dann auf meinen Rücken zu setzen und sich von mir rumtragen zu lassen. Manchmal, wenn sie mich holen wollen, während ich gerade esse, beiße ich sie dann auch schon mal. Das ist ja auch unhöflich, mich beim Essen zu stören! Und später, wenn sie schon auf meinem Rücken sitzen, versuche ich, sie runterzuwerfen. Starkes Buckeln ist dann angesagt, die können auch nicht alles mit mir machen.
Aber meistens bin ich brav und lasse mir geduldig das weiche Geschirr, das sie Halfter nennen, überziehen. Dann führen sie mich zum Putzplatz und binden mich an eine Stange. Dort holen sie einen Kasten mit ganz vielen Bürsten und fangen an, mich zu putzen. Das ist der schöne Teil der Reitstunde! Damit der ein bisschen länger andauert, habe ich verschiedene Methoden. Zum Beispiel wälze ich mich, bevor die mich von der Koppel holen, noch einmal schön im Schlamm. Dann hat das Mädchen, das heute mit mir unterwegs sein will, viel zu putzen. Oder ich verlagere mein ganzes Gewicht auf genau den Huf, den sie grad hochheben will. Und wenn ich richtig schlecht gelaunt bin, schmeiß ich noch den Kasten mit den Bürsten um.
Aber das alles zögert es nur hinaus. Irgendwann bin ich dann so weit fertig geputzt, dass ich aufgesattelt werden kann. Dann holt das Mädchen diesen unbequemen Sattel und legt den auf mich drauf. Damit sie den Gurt aber nicht so eng ziehen kann, blähe ich noch einmal den Bauch auf. Mist, jetzt hat sie es gemerkt und schnell nachgezogen, da muss ich an meiner Strategie arbeiten! Wenn der Sattel dann also fest ist, kommt der nächste Teil des Fertigmachens, das Auftrensen.

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Da holen sie das Zaumzeug und schieben mir so ein Metallteil ins Maul. Igitt! Eine Möhre wäre mir tausendmal lieber. Danach machen sie noch irgendwelche Riemen fest, aber das interessiert mich nicht. Ich versuche nämlich, das Metallteil, das Gebiss heißt, wieder aus meinem Maul rauszubekommen. Leider ist das nicht so einfach.
Bei dem ganzen Stress will ich dann aber wenigstens ganz vorne laufen. Das darf ich auch, denn ich bin bei uns das Tête-Pferd. In freier Wildbahn wäre ich der Anführer unserer Herde gewesen. Hier auf dem Reiterhof bin ich der Anführer auf unserer Koppel, weil ich die meiste Erfahrung habe. Letztens kam ein neues Pferd zu uns, das auch meinte, es könne den Tête machen. Das habe ich ihm aber schnell ausgetreten.
Trotzdem darf ich leider nicht immer machen, was ich will. Meine praktischen Abkürzungen durch die Mitte der Reithalle werden zum Beispiel nie akzeptiert, stattdessen müssen mein Reiter und ich jede Menge Regeln und Ausdrucksweisen beachten: z.B. gilt hier links vor rechts, wenn wir auf eine andere Gruppe stoßen, und wir müssen genügend Abstand zu den anderen Pferden unserer Gruppe halten. Schade eigentlich, dabei könnten wir doch so schön alle zusammen laufen und ein bisschen Quatsch machen!
Stattdessen machen wir so komische Figuren, die wir in der Halle ablaufen, aber die merke ich mir nicht, sondern folge einfach den Anweisungen meines Reiters – allerdings nur, wenn ich in guter Stimmung bin. Hinterher wird’s dann aber doch ganz nett: Wir bekommen eine Decke, um warmzubleiben, unser Stall wurde ausgemistet und es gibt frisches Heu. Ob die Menschen merken, wenn ich absichtlich bockig bin, und mich so für den nächsten Tag bestechen wollen?