Bücher reloaded

Wer neue Bücher sucht, ist hier genau richtig: Zu Tausenden reihen sich in den Regalen der Hallen der Frankfurter Buchmesse 2015 zukünftige Bestseller aneinander, moderne Bildbände liegen verkaufsbereit in großen Kisten und Cosplayer stehen stundenlang an, um einen Blick in die Fortsetzungen beliebter Mangas werfen zu können. Über 275 000 Besucher nutzten die Gelegenheit, auf der größten Buchmesse der Welt die neuesten Trends der Literatur aufzuspüren und sich am letzten Messetag mit Büchern einzudecken. Aber auch unbekanntere Formen der Literatur gab es zu entdecken: Faksimiles – Bücher reloaded. UMLAUF war dabei.

 

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Nur die Bücher aus dem Mittelalter liegen zum Schutz der filigranen Illustrationen mit Blattgold und der mächtigen Eisenverschläge in Vitrinen. Staunend bleiben die Besucher stehen, um die druckfrischen Werke zu begutachten. Neue Bücher direkt aus dem Mittelalter? Faksimiles machen es möglich. Die nach dem lateinischen Wort für „mache es ähnlich“ benannten Schriften sind originalgetreue Nachbildungen von historischen Dokumenten, meist aus dem Mittelalter. Aus welchen Gründen aber werden alte Schriften so genau wie möglich kopiert? Welchen Sinn hat das bzw. welchen Zweck erfüllen sie?

„Faksimiles haben im Gegensatz zu echten historischen Werken zwei große Vorteile“, erklärt mir Dr. Claus Weinert, Mitarbeiter am Stand eines Faksimileverlages. Oft befänden sich die Originale heute in einem sehr gefährdeten Zustand. Wegen brüchigen Pergaments, bröckelnder Schrift und abblätternder Farbe könnten diese zum Schutz nur noch vereinzelt in großen Ausstellungen gezeigt werden – wenn überhaupt.

„Nicht nur der Inhalt, sondern auch der Einband wird so genau wie möglich wiedergegeben. Bei einem guten Faksimile kann man bereits bei normalem Betrachtungsabstand Nachdruck und Original nicht mehr unterscheiden.“ So könnten wichtige Dokumente unabhängig vom Zustand des Originals überall ausgestellt und sogar von Wissenschaftlern untersucht werden.

 

Buch Artikel

 

„Das größte Problem mit den Originalen ist aber ein anderes“, fährt der gelernte Lektoratsleiter lachend fort: „Besonders von den Schriften vor der Erfindung des Buchdruckes gibt es meist nur ein, wenn überhaupt zwei Exemplare.“ Durch Faksimiles sei der Besitz von historisch wertvollen Dokumenten nicht mehr ein Privileg reicher Museen, sondern auch Privatpersonen werde somit ein Stück Kunstausstellung für das heimische Regal ermöglicht. 

„Schau dir unsere Bücher doch mal etwas genauer dann. So bekommst du am besten einen Eindruck von unserer Arbeit!“, schlägt mir Herr Weinert vor und führt mich mit leuchtenden Augen zu einer der Vitrinen. Die warme Beleuchtung bringt das Blattgold zum Glänzen, welches eine farbenfrohe Illustration von einem Ritter im Kampf gegen einen Drachen umschließt. Andere Exemplare zeigen Szenen aus der Bibel oder einen Minnesänger mit seiner Angebeteten. Wie fast alle Bücher aus dem Mittelalter wurden diese mit kunstvoll verschnörkelten Buchstaben auf Latein niedergeschrieben. Die Einbände aus gefärbter Seide, Leder oder Samt mit Goldgravuren oder Bronzebeschlägen zeigen, dass das Buch früher nicht nur zum Lesen da war, sondern vor allem als Statussymbol eine wichtige Rolle innehatte. Allerdings fällt es mir sehr schwer, zu glauben, dass die ausgestellten Stücke keine Originale sein sollen.

FaksimileBlattgold

 

Neben den aufgeschlagenen Faksimiles befinden sich die Preise. Ich sehe keinen, der unter 600€ liegt. Wieso aber sind die Bücher so teuer, wenn sie, salopp gesagt, bloß eine Kopie sind?“ „Dazu muss ich sagen, dass wir ein Nischengeschäft im Bücherhandel sind. Faksimiles sind kein Massenprodukt, sondern werden in kleinen limitierten Auflagen produziert“, so Herr Blatter. Zudem gebe es auch nur wenige Käufer, die erst noch gefunden werden wollen. Und auch der Verkauf der Faksimiles unterscheide sich von dem der normalen Bücher: Während für gewöhnliche Printartikel der Onlinehandel boome, fahre ein Verlagsmitarbeiter zu jedem Interessenten nach Hause, damit dieser das Produkt vor dem Kauf nochmal begutachten könne. Denn niemand gebe einfach mal nebenbei mehrere tausend Euro für ein Buch aus.

„Außerdem ist die Produktion von Faksimiles noch richtiges Handwerk.“ Zunächst muss das Original komplett digitalisiert werden. Dann werden die Bilder so lange bearbeitet, dass beim Druck kein Unterschied mehr zu erkennen ist. „Dafür verwenden wir sehr gutes, pergamentartiges Papier. Heutzutage kann man ja keine ganze Kalbsherde abschlachten, nur um ein Buch herzustellen“, fügt er augenzwinkernd hinzu.

Nach dem Druck werden alle Exemplare von Hand in die prächtigen Einbände gebunden, die je nach Vorlage aus wertvollsten Materialen und Verzierungen hergestellt wurden. „Je nach Preiskategorie verwenden wir sogar echtes Blattgold für die Illustrationen und Einbände. Dadurch wird das Produkt schon mal ein bis zweitausend Euro teurer.“ Es gibt aber noch ein Problem: Fast alle Dokumente sind auf Latein verfasst. „Ja, das ist auch ein großer Kostenfaktor. Denn zum Verständnis des historischen Hintergrundes und zur Übersetzung ist ein Kommentarband notwendig, der von einem Wissenschaftler verfasst werden muss.“

 

Einband

 

Ja, so ein Faksimile ist teuer. Aber im Vergleich zu den Originalen ist der Preis für eine perfekte Kopie doch erstaunlich gering: Dr. Weinert lenkt meine Aufmerksamkeit auf eine andere Vitrine. „Hier kannst du das Faksimile vom Glockendon-Gebetbuch sehen, welches in der normalen Ausgabe 998€ kostet. Das Original hingegen hat allein schon einen Versicherungswert von über 800 000€.“

Bevor ich mich verabschiede, möchte ich noch wissen, nach welchen Kriterien die Dokumente ausgesucht werden, die faksimiliert werden sollen. „Am interessantesten für die Kunden sind prachtvolle Einbände, üppige Verzierungen und viele Illustrationen.“ Also hat sich anscheinend auch nach fast tausend Jahren dahingehend nichts geändert: Prunkvolle Bücher haben immer noch eine Rolle als Statussymbol inne.