Von unseren Gastredakteurin Franziska Rüttger (Q3)
„Die Verwandlung“ von Franz Kafka ist ein sehr bekanntes Werk voll tiefer Bedeutung, das Thema in unserem Grundkurs Deutsch (Frau Tränker) ist. Damit wir uns besser in die Situation des Protagonisten Gregor Samsa, der sich eines Morgens in ein riesiges Insekt verwandelt wiederfindet, hineinversetzen und einen eigenen, persönlichen Zugang zu dem Werk erhalten können, schrieben wir einen inneren Monolog in Form einer eigenen Verwandlungsgeschichte, in der wir selbst das durchleben, was Gregor Samsa widerfährt.
Ich erwachte nur wenige Stunden, nachdem ich ins Bett gegangen war. Es musste noch tiefste Nacht sein, Mitternacht vielleicht oder ein Uhr. Trotzdem war ich hellwach, und so sehr ich mich auch bemühte, wieder einzuschlafen, es klappte einfach nicht. Frustriert wollte ich mich auf die andere Seite drehen, doch ich spürte sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte. Leicht blinzelnd öffnete ich die Augen. Die Decke war von mir heruntergerutscht und hing halb aus dem Bett hinau,s und trotzdem war mir nicht kalt, obwohl es Winter war und draußen Minustemperaturen herrschten.
Durch das geschlossene Fenster konnte ich das Pfeifen des eisigen Windes hören und die Schritte eines Mannes, die eigentlich durch die Schneedecke abgedämpft waren, schallten laut und deutlich zu mir herauf. Außerdem nahm ich noch ein leises, nahes Pochen wahr. Mein eigener Herzschlag? Einen Moment lauschte ich diesem Geräusch und starrte an die Decke. Dabei fiel mir auf, dass ich die Beschaffenheit des Holzes, jede Ritze und Schattierung, trotz der Entfernung und der Dunkelheit genau erkennen konnte. Irgendwann wurde mir von dem Anblick schwindelig und ich schloss die Augen, während ich versuchte, mich auf die Seite zu drehen, was gar nicht so einfach war, denn ich konnte meine Hände nicht mehr spüren.
Als ich meine Arme streckte, hörte ich ein leises Rascheln, wie der Wind, der durch die Baumwipfel rauscht. Doch da es in der näheren Umgebung keine Bäume gab, musste es etwas anderes sein. Doch was? Also startete ich einen erneuten Versuch, herauszufinden, was hier los war, und öffnete zögernd die Augen. Sofort hatte ich wieder das komplexe Muster des Holzes über mir im Blick und es fiel mir schwer, mich davon loszureißen, denn beim genaueren Hinschauen konnte ich allerhand außergewöhnliche Muster erkennen, die meine Aufmerksamkeit fesselten.
Doch schließlich gelang es mir, mich von ihnen loszureißen und den Blick zu senken. Den Kopf anzuheben, hörte sich leichter an, als es tatsächlich war. Wieder und wieder versuchte ich es, doch aus irgendeinem Grund konnte ich ihn nicht höher als ein paar Zentimeter heben. Alles, was ich von meinem Körper zu sehen bekam, war etwas Weißes, beschattet von einem weiteren Muster aus schwarzen Flecken und Streifen, wie ein Labyrinth ohne erkennbaren Ausgang.
Als nächstes versuchte ich, meinen Kopf zur Seite zu drehen, was erstaunlich gut funktionierte, und betrachtete meinen Arm. Halt, das war gar kein Arm! Bildete ich mir das nur ein, oder hatte er sich tatsächlich in eine große, sichelförmige und weiß gefiederte Fläche verwandelt? War etwa mein Kissen kaputtgegangen? Vorsichtig bewegte ich das, was ich für meinen Arm hielt. Die Federn raschelten und der ganze Flügel bewegte sich. Ich wollte ein überraschtes Keuchen ausstoßen, doch das Geräusch, das aus meiner Kehle drang, entsetzte mich zutiefst. Es klang wie ein Kreischen, laut, hoch und klar, als könne es Glas zerspringen lassen.
Ruckartig drehte ich mich nach links, spürte, wie ich über die Bettkante glitt, bekam jedoch den Holzrahmen mit meinen seltsam starken Füßen zu packen, krallte mich daran fest und ruderte mit meinen Armen, genauer gesagt: Flügeln. Als ich damit schlug, konnte ich fühlen, wie die Luft zwischen den Federspitzen hindurchfloss und wie sie unter den Schwingen eingeschlossen wurde, sodass ich mich nach oben drücken konnte.
In der neuen, aufrechten Haltung fühlte ich mich deutlich wohler als im Liegen und nun fiel es mir auch leichter, meinen Körper zu begutachten. Meine Füße waren nun schwarze Klauen, mit denen ich mich gut am Bett festhalten konnte. Sicherlich waren die scharfen Krallen auch zu anderen Sachen gut! Die Beine waren kurz und weiß gefiedert, mein restlicher Körper oval und ebenfalls dick mit schwarz gesprenkelten weißen Federn bedeckt. Ich konnte mir auch meinen Rücken ansehen, da ich den Kopf fast einmal ganz herumdrehen konnte. Ich besaß eine Art Schweif, bestehend aus kurzen, breiten Schwanzfedern. Auch sie konnte ich gezielt bewegen. Es sah zwar etwas seltsam aus, fühlte sich aber irgendwie vertraut an, obwohl ich das noch nie zuvor getan hatte. Ich drehte den Kopf wieder zurück und ließ meinen Blick durch mein Zimmer schweifen. Wie die Holzdecke konnte ich alles ungewöhnlich klar und deutlich erkennen, obwohl es dunkel war und obwohl ich keine Brille trug.
Dann fiel mir etwas ein. Der Spiegel. Dort könnte ich mich genau betrachten, obwohl ich schon eine leise Ahnung im Hinterkopf hatte, was ich war. Ich musste nicht darüber nachdenken, wie ich am besten auf den Boden kam, ohne mich zu verletzen; meine neu geprägten Instinkte sagten mir, was ich tun musste. Während ich die Flügel ausbreitete und sanft zu Boden glitt, blieb mein Kopf jedoch nicht leer. Tausend Gedanken und Fragen schwebten dort umher. Wieso hatte ich mich in ein Tier verwandelt? Warum gerade ich? Wie würde nun meine Zukunft aussehen? Konnte diese Verwandlung rückgängig gemacht werden? Wie würden meine Familie und meine Freunde dieses Ereignis aufnehmen? Würde ich nun alles aufgeben müssen? Mit gemischten Gefühlen betrachtete ich mein Gesicht im Spiegel. Es war ebenfalls weiß und rund. Am auffallendsten waren der schwarze und spitze Schnabel mitten in dem strahlenden Weiß und die von Federn umgebenen intensiven, beinahe stechenden, goldenen Augen.
Ich war zu einer Schnee-Eule geworden.