Mit Lichtsignalen Informationen transportieren

Von unserer Mitarbeiterin Christiane Wagner (05.03.2005 02:50)

Die Glasfront des Wintershall/WINGAS-Bürogebäudes nahe der Kasseler Stadthalle lässt kaum vermuten, dass Glas eine ganz spezifische Rolle im diesem Unternehmen der Badischen Anilin- und Sodafabrik (BASF) – spezialisiert auf Erdöl- und Erdgas- förderung – besitzt. Mit Förderstätten in Deutschland, der südlichen Nordsee, Nordafrika und Südamerika sowie Russland ist die Wintershall AG der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent.

Gruppenbild mit einem Herren

Eine der längsten Erdgasleitungen mit über 5000 Kilometer – was einem Achtel des Erdumfanges entspricht – verbindet Europa mit dem größten Erdgasvorkommen der Welt in der sibirischen Tundra und sichert maßgeblich unsere Energieversorgung. Sieben Tage benötigt das Flüssiggas, bis es die deutschen Haushalte und Industriebetriebe erreicht. Aber wie wird dieses riesige Leitungsnetz in der „Verkehrsleitzentrale für Erdgas“ (Dispatching-Zentrale) an der Friedrich-Ebertstraße gesteuert und kontrolliert?

Der Tagungsraum mit Frau Hohn im Vordergrund

Im Rahmen der Kampagne Tekno-Now, einer Lernplattform der Hessischen Landesregierung für naturwissen- schaftlich interessierte Schülerinnen und Schüler, wurden „Tekno-Reporter“ gesucht. Das Thema „Schon mal mit Lichtsignalen Informationen transportiert“ sollte ein Versuch für den kommenden Girls‘ Day am 28. April 2005 sein. So machten sich am 22. Februar vom Goethe-Gymnasium aus acht Mädchen der Jg.-Stufe 12 auf den Weg zur Dispatching-Leitzentrale der WINGAS GmbH, einem Gemeinschaftsunternehmen von Wintershall und der russischen Gesellschaft Gazprom.
Zehntausend und mehr Prozessinformationen erhält die WINGAS-Zentrale in Kassel stündlich über Lichtwellenleiter. Damit wird das hochmoderne Gasleitungsnetz überwacht, gesteuert oder auch abgeschaltet. Aber warum Lichtwellenleiter und nicht Telefon, Internet oder Satellit?

Kabel und Leitungen standen im Vordergrund

Lichtwellenleiter sind haarfeine Glasfaserkabel aus hochreinem Silikatglas, welches auch als Fiberglas bekannt ist. Ein solcher Leiter besteht aus einem Kern mit einem Durchmesser bis 60 µm = 0,00006 m und einem Mantel. Durch diese Anordnung ist das Licht in der Lage, sich im Kern auszubreiten, ohne das Glasfaserkabel zu verlassen. Zur Erhöhung der Zugfestigkeit und zum Schutz vor äußeren mechanischen Schäden ist die Faser von weiteren Hüllen umgeben. Insgesamt sind in einem Kabel 72 solcher Fasern. Informationen werden über Laser zu Lichtstrahlen umgewandelt, an einem Ende der Faser eingespeist und durch Totalreflexion in den einzelnen Fasern weitergeleitet. Dabei wird nicht nur das sichtbare Licht, sondern auch langwelligeres Infrarot- und kurzwelligeres Ultraviolett-Licht verwandt.

Als Übertragungsmedium von Informationen erfordern Lichtwellenleiter eine grundsätzlich andere Technologie hinsichtlich der Sender- und Empfängerbausteine. Diese ist recht neu und befindet sich in rascher Entwicklung. Ihr steht die seit Jahrzehnten bewährte Technologie der elektrischen Kabel gegenüber. Langfristig werden die Glasfaserkabel die Kupferkabel zwar weitgehend ablösen, da die technischen Eigenschaften der Lichtwellenleiter insgesamt stark überlegen sind, aber in der DSL-Technologie können Glasfasersysteme kostenmäßig noch nicht mit den Kupferkabeln konkurrieren.

Dem Mitarbeiter galt das Interesse…

Aber warum setzt WINGAS auf die relativ teure Glasfasertechnik? Im Verlauf des Internetbooms der 90-er Jahre wurden alle neuen Überlandverbindungen wie z.B. Hochspannungsleitungen oder Erdgas/Erdölleitungen vorausschauend mit Glasfaserkabeln ausgestattet. Das hat sich jetzt bezahlt gemacht, denn diese Technik ist unempfindlich gegenüber elektrischen und magnetischen Einflüssen, erfordert keinen Blitzschutz und ist geeignet für den Einsatz in explosionsgefährdeter Umgebungen bei geringem Kabelgewicht, hoher Übertragungsleistung und großer Reichweite. Als nachteilig erweist sich aber die Empfindlichkeit gegenüber mechanischer Belastung.

…nicht, sondern dem kleinen Kästchen, mit dem…

Feinste Glasstränge zu flicken ist schon schwierig, Glaskapillaren aber so zu reparieren, dass die Lichtimpulse wieder passieren können, ist eine Meisterleistung. Neben der umfangreichen Information über die Grundlagen der Lichtleitertechnik wurde den Schülerinnen besonders dieses mittlerweile routinemäßige Reparaturverfahren vorgestellt und konnte von diesen auch selbst ausprobiert werden. Schon erstaunlich, dass dieses handtaschengroße Reparaturset preislich einem mittleren Mercedes entspricht.

…gebrochene Glasfasern verknüpft werden

Gerade bei Schülerinnen wäre eine ungewöhnliche soziale Errungenschaft des Wintershall-Konzerns auf großes Interesse gestoßen. Keine 200 Meter vom Wintershall-/WINGAS-Gebäude entfernt befindet sich der firmeneigene „Betriebskindergarten“, der vor einigen Monaten persönlich von der Bundesfamilienministerin Renate Schmidt mit dem Zertifikat für ein Audit „Beruf & Familie“ ausgezeichnet worden ist. Naturwissenschaftlich orientierte Schülerinnen befinden sich nämlich perspektivisch im Konflikt zwischen Karriere und Kinderwunsch. Ausdruck dessen ist u.a. die hohe Kinderlosigkeit von Akademikern in Deutschland. Familien, aber insbesondere Frauen, fördert der Wintershall-Konzern in seinen Betrieben durch vielfältige Maßnahmen. Das verdeutlicht auch die Präsentation der Wintershall-Homepage, bei der die Kooperation mit der Hertie-Stiftung im Vordergrund steht, die übrigens auch Schülerinnen und Schüler unserer Schule unterstützt.

Das Ambiente von WINGAS war hervorragend und die Betreuung durch Frau Hohn von der Wissenschaftsmarketingfirma Dr. Riedl & Partner sehr hilfreich. Unsere Kritik bezieht sich auf Einzelaspekte der Veranstaltung selbst. Naturwissenschaftlich orientierte Schüler können an chemisch-physikalischen Vorgängen schulmäßig gut anknüpfen, besitzen jedoch ein geringeres Interesse an detailliertem Spezialwissen z.B. aus der Nachrichtentechnik. Im Gegensatz dazu sollte der praktische Anteil verstärkt werden.
Zusammenfassend bietet der Konzern für Schüler ein breites Spektrum journalistischer Recherchemöglichkeiten, das im Rahmen ähnlicher Veranstaltungen häufiger genutzt werden sollte.