Claudia-Schiffer-Gymnasium

Von unserem beratenden Lehrer H.J. Prauß (14.06.2001 22:00)

Britney Spears (19), US-Popstar, hat eigentlich keine Ahnung von Physik. Aber seitdem ein britischer Wissenschaftler sexy Bilder von der Pop-Prinzessin auf seiner Webseite platziert hat, kennt die Begeisterung der Surfer an den Theorien der Physik keine Grenzen mehr. Auf knifflige Fragen gibt die Sängerin in Sprechblasen die richtige Antwort.

Vorher – Nachher

Hier in Hessen werfen die Schulen in den nächsten Jahren ihr preußisches Beamtenjoch über Bord und erhalten u.a. auf dem Gebiet der Finanzverwaltung eine zunehmende Selbständigkeit („Budgetierung“). Das bedeutet, dass den Schulen nahegelegt wird, die karge Mittelzuteilung durch Spenden („Sponsoring“) aufzubessern. Also: ungewöhnliche Wege in der Stoffvermittlung und clevere Initiativen in der Finanzverwaltung stehen auf der Tagesordnung.
Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. In dieser Frage scheint ein Ruck durch unsere Schule zu gehen. Die Farbenlehre von Goethe, dem Schirmherrn unserer Schule, kennt nur noch unser Physiklehrer Herr Clemens. Und mehr als den Zauberlehrling aufsagen kann nur Herr Trebing, der sein RTL-Inseldasein in der Schülerbibliothek fristet. Der Blick muss ins nächste Jahrhundert gehen. Das sieht auch die Leiterin unserer Schulprogramm-Kommission, Frau Kühn, nach deren Meinung das Schulprogramm vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss. Sie plädiert für einen radikalen Umbau und damit für die Umbenennung unserer Schule: Statt Goetheschule jetzt CLAUDIA-SCHIFFER-Gymnasium. Mit dieser symbolischen Handlung soll nicht nur verdeutlicht werden, dass wir den Mut haben, unsere 100-jährige Tradition über Bord zu werfen, sondern auch im Sinne unseres ehemaligen Kultusministers Holzapfel eine Öffnung der Schule in den gesellschaftlichen Raum herbeiführen wollen. Über 200.000 Anfragen jährlich auf Claudias Homepage sind der Beweis für die Richtigkeit dieser Wahl, die sich auf unsere Unterrichtsmethoden und Sponsorensuche auswirken wird. Damit beenden wir die knochentrockene Kreidezeit und gleiten in die glitzernde Welt tagtäglicher pädagogischer Highlights.

Bei geschickter Pressearbeit kann man sich ausmalen, wie Claudia Schiffer als Patronin zur Umbenennung unserer Schule über den Kasseler Flughafen „Calden“ herbeijeten würde, umgeben von einem Tross von Fotografen, einschließlich der gesetzlichen und ungesetzlichen Fernsehsender. An der Gangway links Herr Dr. von Rüden, rechts Herr Lewandowski, in der Hocke unser Hausmeister Herr Knobel. Ein Bild ginge um die Welt.
Wahrscheinlich würde sie zu besonderen Anlässen in unserer Schule erscheinen. Die Gesamtkonferenzen verliefen effektiver. Das saure Gesicht des Protokollanten würde der Vergangenheit angehören – ganz vorne neben Claudia! Ein kleiner Date zu einer Pädagogischen Konferenz nach Mallorca? Selbstverständlich – das Flugzeug würde kopflastig und selbst Herr Umbach würde nie wieder über Fahrtkostenrückerstattung klagen. Frau Lühmann würde sich als einzige mit einem GEW-Termin entschuldigen lassen.
Was die älteren Kollegen nur motiviert, macht die Schüler hellwach – und das ist ja unser pädagogischer Impetus. Seit der Wende sind historische Exkurse out. Dem Fall der Mauer muss die Beseitigung der pädagogischen Panzersperren in unserem Kopf folgen; die Kraft der Freiheit, die uns Claudia vorexerziert, führte sie aus einfachen Verhältnissen zum millionenschweren Weltstar des Jetset. Warum also Physik, warum Gemeinschaftskunde, wozu Chemie? Eine Runde Börsenspiel, etwas Medienkunde bei unserem Deutschlehrer Herrn Wagner und ein bisschen Dreisatz bei Herrn Rudolph – das Währungsrechnen fällt sowieso weg. Kunst und Design – ohne Kunstgeschichte – wird Schwerpunktsfach bei Herrn Schön; der Naturalismus schwelgt in dezenten Farben.

Lediglich unsere Fahrradheiligen Herr Peter und Herr Prauß, die die Welt aus einer deformierten Fahrradsattelperspektive sehen, sperren sich ein wenig, eben so, wie unser Biologiekollege Herr Waldrich, da seine Wasserpfad-Exkursionen regelmäßig ins Wasser fallen.
Aber wenn die Schülerinnen und Schüler die täglichen Besuchergruppen durch die Räume geleiten, die Cafeteria auf Grund des medialen Andrangs mit der Mensa der GHK fusionieren muss, Herr Boldt beschwingt die frühmorgentlichen Leibesübungen auf dem Schulhof neben Claudia vorexerziert, Herr Eichler als Pressereferent seine Meldungen jetzt täglich weltweit ausgibt und der Leiter des Finanzausschusses, Herr Schörner, sich auf seinem Konto die jährlichen Millionen nicht erklären kann, dann wissen wir, am Claudia-Schiffer-Gymnasium beginnt eine neue Zeit.