Ein Stück zum Leben

(18.06.2003 18:55)

Ludwig gibt kurze Schreie von sich, rennt über Tische und Stühle und kann von seinem Pfleger nur durch ein Spiderman-Heft angelockt und beruhigt werden. Rose ist eine erwachsene Frau, die mit niemandem spricht und immer einen Teddy bei sich trägt. Theo erkennt Gedichte von Rainer Maria Rilke, doch er ist nicht in der Lage, selbständig zu essen.

Ludwig, Rose und Theo sind Figuren in dem Theaterstück „Ein Stück zum Leben“, das vom Kurs Darstellendes Spiel der Jahrgangsstufe 12 am 10., 11. und 13. Juni 2003 in der Aula des Goethe-Gymnasiums aufgeführt wurde. Zusammen mit sechs anderen Patienten befinden sie sich in einem Krankenhaus für chronisch Kranke. Die Ärzte glauben nicht an Heilungschancen für ihre Patienten, die schon seit zehn Jahren an Krankheiten wie Autismus und Parkinsonismus leiden. Der arrogante Verwalter der Klinik, Herr Kessin, denkt nur an den Profit und sieht keinen großen Unterschied zwischen den Patienten, die er als zuckendes Gemüse bezeichnet, und einem Regenwurm. Der Klinikpfarrer, der sich eigentlich um das geistige Wohl der Patienten kümmern sollte, ist aufgrund der vorherrschenden Situation so verzweifelt, dass er einen ständig betrunkenen Alkoholiker spielt, um nicht mehr ernst genommen zu werden und somit keine Verantwortung mehr tragen zu müssen.

Nur der neu eingestellte Arzt Dr. Sayer hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben und glaubt, helfen zu können. Er führt Experimente durch und verabreicht den Patienten das Mittel El Dopa. Das Mittel schlägt an und führt die Patienten langsam wieder ins Leben zurück. Während einige Patienten trotz ihrer Krankheit ihre Umgebung genaustens wahrnehmen konnten, müssen sich andere nach zehn Jahren an die großen Veränderungen in ihrem Leben gewöhnen. Doch bereits während eines vom Krankenhaus veranstalteten Tanzabends treten bei den frisch Geheilten wieder erste Symptome ihrer Krankheit auf. Das Mittel konnte ihnen nur kurzzeitig helfen. Jetzt verlieren sie langsam wieder die Kontrolle über ihren Körper und kehren zu ihrem früheren Zustand zurück. Die hilflosen Ärzte müssen erkennen, dass ihr Experiment gescheitert ist.

„Ein Stück zum Leben“ lässt ein nachdenkliches Publikum zurück, das sich nicht nur der Bedeutung der eigenen Gesundheit bewusst wird, sondern auch aufgefordert wird, über das eigene Leben nachzudenken. Der Zuschauer sieht sich mit der Frage konfrontiert, inwieweit es jedem einzelnen von uns gelingt, geistig kranken oder pflegebedürftigen Personen die nötige Würde entgegenzubringen, sie als Menschen und nicht als „zuckendes Gemüse“ zu sehen und sie dementsprechend zu behandeln.

Als Vorlagen diente dem Kurs Darstellendes Spiel der Film „Zeit des Erwachens“ und der Roman „Awakenings“ von Oliver Sackes. Gemeinsam mit dem Spielleiter, Herrn Lück, gelang es dem Kurs, ein Stück zu inszenieren, in dem jeder Schauspieler eine eigene Figur spielen konnte, also kein Rollensplitting benutzt wurde. Die Patientenfiguren waren nicht nur hilflose Pflegefälle, sondern eigenständige Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Biographien, die erst im Verlauf des Stückes hervortraten.

Belohnt wurde die gelungene Arbeit mit einem verdienten, minutenlangen Applaus, der strahlende Gesichter bei den Schauspielern zurückließ und taube Hände bei den Zuschauern.