Wie Kneipe ohne Bier

(09.03.2003 21:14)

Wer hier die übliche Muckibude erwartet hat, sieht sich grundsätzlich getäuscht. Vergeblich hält das Auge nach eingeölten Kraftprotzen Ausschau, keine glitzernden Goldkettchen umspannen stramme Hälse, selbst solariumgebräuntes Fleisch ist nur dezent auszumachen.

Sport- und Trainingsstudio Horst Appel in Niestetal-Heiligenrode

Freitagabend, 17.00 Uhr, Sport- und Trainingsstudio Horst Appel in Niestetal-Heiligenrode: Zwischen den rund 50 Sportgeräten tummeln sich zu dieser Zeit etwa drei Dutzend Durchschnittstypen in den Altersstufen von Jugend bis rüstigem Rentner. Publikum und Outfit wollen so gar nicht dem entsprechen, was man in einem Fitness-Studio erwartet. Nichts ist hier schrill oder bunt, überall herrscht gedeckte Farbe vor. Bei näherem Hinsehen macht der Kenner der regionalen Sportszene allerdings einige Bekannte aus. Thomas, der Mittelfeldmotor eines Fußballlandesligisten, strapaziert seinen Brustmuskel beim Bankdrücken, Silke, Mehrkämpferin der deutschen Spitzenklasse, wuchtet ein ums andere Mal die Langhantel hoch, Manuela aus dem Nationalkader der Ruderer liegt unter der Beinpresse. Mitten im Geschehen steht der Chef, Horst Appel, vor 20 Jahren selbst Gewichtheber der Weltklasse. Nach Beendigung seiner sportlichen Karriere hat er seinen Job als Fernmeldetechniker bei der Post aufgegeben und betreibt seitdem ein Sportstudio. Um konkurrenzfähig zu sein, so erläutert Appel, müsse man auf ein vielfältiges Angebot setzen, aber das Herzstück sei nun einmal die Geräteabteilung auf ihren rund 300 qm.

Im Gespräch behält der Betreiber das Terrain und seine Benutzer ständig im Auge. Zeitweise wirkt er deshalb etwas abgelenkt. Das sei keine Unhöflichkeit, sondern müsse so sein, meint er entschuldigend, weil besonders neue Mitglieder einer sorgfältigen Anleitung bedürften.
Appel begrüßt derweil eine grauhaarige Dame und stellt sie kurz vor. Erika ist 73, von Anfang an dabei und – die drahtige Figur beweist es – topfit. Was bewegt eine Frau in diesem Alter, in ein Sportstudio zu gehen? Erika gibt bereitwillig Auskunft. Neben der sportlichen Betätigung habe sie hier auch ihren Bekanntenkreis, erklärt siet. Für Horst Appel ist dies das Stichwort, um auf seine Mitglieder zu sprechen zu kommen. Von den derzeit ca. 700 Eingeschriebenen trainieren etwa zwei Drittel regelmäßig. Typische Bodybuilder will er in seinem Studio nicht haben. Groß ist die Gruppe derjenigen, die „fit for fun“ zum Ziel haben. Muskeln sollen sein und gepflegt werden, aber bitte nicht im Extrem, der schlanke Körper bleibt das Maß der Dinge. Noch größer ist die Zahl derer, die mit Rückenproblemen oder sonstigen orthopädischen Handicaps zu kämpfen haben. Etwa jeder Dritte schließt hier den Studiovertrag in der Erwartung, durch fachgerecht begleitete Arbeit am Gerät seine Beschwerden in den Griff zu bekommen. Das gilt nicht nur für die Älteren oder diejenigen aus den Schreibtischberufen. Appel verweist darauf, dass „das Kreuz mit dem Kreuz“ mittlerweile Volkskrankheit Nummer 1 ist.
Der Laden läuft. Appel hat anscheinend ein erfolgreiches Konzept. Der frühere Postler äußert sich zurückhaltend. Das Geschäft rechne sich, die monatlichen Belastungen seien abgedeckt, für sich und die Familie reiche es zum Leben. Fitness sei trotz der schlechten Wirtschaftslage noch immer im Trend, aber das Preis-Leistungs-Verhältnis müsse stimmen. Mit seinen Beiträgen liegt der Heiligenröder deshalb auch etwa 20% unter denjenigen vergleichbarer Anbieter. „Mein Vorteil ist der hohe Bestand an Stammkunden“, nennt er als entscheidenden Punkt, „hier sind viele, die seit mehr als 10 Jahren dabei sind“. Außerdem spricht er ein breites Publikum an. Hier bewegen sich Schüler und Handwerker ebenso wie Hausfrauen und promovierte Akademiker. Sein Arbeitstag wird heute erst wieder gegen 22.00 Uhr enden.
Der gesellige Teil hat endgültig die Oberhand gewonnen. „Das ist hier wie Kneipe ohne Bier“, kommentiert sie die Szenerie. So griffig der Vergleich ist, ganz stimmt er nicht. Für 2,00 Eur verkauft die Bar auch Weizenbier, aber tunlichst erst ab 19.00 Uhr und vor allem nicht während des Trainings.