Kein Verbot für «bauchfrei» an deutschen Schulen

(23.11.2001 16:11)

Wenn junge Mädchen in deutschen Schulen selbst im Winter nackte Haut zwischen Hose und T-Shirt zeigen, schütteln viele Lehrer zwar den Kopf – doch Verbote hagelt es nicht.
Neubrandenburg – Wenn junge Mädchen in deutschen Schulen selbst im Winter nackte Haut zwischen Hose und T-Shirt zeigen, schütteln viele Lehrer zwar den Kopf – doch Verbote hagelt es nicht. Dass eine 13-Jährige in der ostmecklenburgischen Kleinstadt Friedland bei Neubrandenburg wegen «bauchfrei» aus dem Unterricht verwiesen wurde, scheint ein Einzelfall zu sein. Nur aus Berlin wurde bekannt, dass Schülerinnen und Schüler, deren Kleidung Lehrern unangemessen schien, ebenfalls nach Hause geschickt werden.

In Friedland hatte sich im Sommer niemand an der Hüfthose und dem kurzen Top des Mädchens gestört. Jetzt aber erregte der Anblick ihres Bauches Anstoß. Die Schulordnung wurde um einen Passus verschärft, der «übertrieben freizügige Bekleidung» an der Schule verbietet. Die Mutter der 13-Jährigen ging dem vorprogrammierten Ärger aus dem Weg – ihre Tochter wechselte die Schule. Der Vorfall führte in Mecklenburg-Vorpommern allerorts zu Diskussionen über die passende Schulkleidung. Das Bildungsministerium in Schwerin hielt ein Eingreifen jedoch nicht für notwendig. Eine Kleiderordnung für Schulen gibt es in Mecklenburg-Vorpommern ebenso wenig wie in anderen Bundesländern.

In Baden-Württemberg hieß es im Kultusministerium, die Schulleitungen hätten dafür zu sorgen, «dass die Aufrechterhaltung der Ordnung des Schulbetriebs gewährleistet ist». Verboten sei das Tragen von Baseball-Kappen – wobei es um ein Zuviel an Stoff und nicht um zu wenig geht. Der Mützenschirm könne den notwendigen Augenkontakt mit dem Lehrer verhindern und dazu führen, dass die Schüler so leichter bei Klassenarbeiten abschreiben können, begründete ein Ministeriumssprecher die Regelung.

Die Schulordnungen dürften Bestimmungen zur Kleidung enthalten, sagte ein Sprecher der Hamburger Schulbehörde. Allerdings sei ihm keine Schule bekannt, wo das tatsächlich der Fall sei. Auch habe er nicht davon gehört, dass Schülerinnen wegen allzu freizügigen oder modischen Outfits den Unterricht verlassen mussten. In München sagte ein Kultus-Sprecher: «Wir gehen davon aus, dass die Lehrer genügend pädagogisches Fingerspitzengefühl haben, solche Fälle ohne Vorgaben von oben entsprechend zu lösen.»

Die Kultusministerien von Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Brandenburg ließen ebenfalls verlauten, dass ein Dress-Code zwar im Ermessen jeder Schule liege, aber schwer vorstellbar sei. Moderne Kleidung sei ein normaler Teil der Jugendkultur. Das Kultusministerium von Niedersachsen sprach sich gegen eine Kleiderordnung aus. Andererseits sollten die Eltern darauf achten, wie ihre Kinder aus dem Haus gehen. Manche Schulen verbieten das Tragen von Springerstiefeln, Bomberjacken und Tarnhosen im Unterricht.

Hessens Schülerinnen dürfen bauchfrei zum Unterricht erscheinen. Verbote von allzu freizügiger Kleidung sollen nur in Extremfällen verhängt werden, etwa bei völlig durchsichtigen T-Shirts. Ansonsten gelte das Recht der freien Persönlichkeit, sagte der Sprecher des hessischen Kultusministeriums.

Die Friedländer Schulleiterin Ruth Heckt hatte das Bauchfrei-Verbot damit begründet, dass es die Jungs zu sehr ablenke, wenn sie mit zu viel nackter Haut konfrontiert seien. Auch für die Lehrer sei dies unzumutbar. Der Schülersprecher der Integrierten Gesamtschule in Neubrandenburg, Martin Hartung, kann darüber nur lachen. «Im Gegenteil, das spornt vielleicht sogar noch an», meinte der 18-Jährige. Die Reaktion der Friedländer Schule verstößt für ihn gegen die Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde. Sie passe aber in eine Gesellschaft, in der Menschen nach Äußerlichkeiten beurteilt werden, sagte er.