(16.12.2005 19:01)
Es irritiert schon, wenn man an frühere Fallbeispiele denkt, die in der bundesrepublikanischen Presse ausführlich dargestellt worden sind. Auch im Vergleich zu ähnlichen Entführungsfällen in Italien, Frankreich und Spanien wird die Situation des Entführungsopfers Susanne Osthoff fast verschwiegen oder verschwindet hinter Schlagzeilen wie EU-Finanzierung, CIA-Folter und Eigenheimförderung. Fast scheu beschäftigt sich die deutsche Öffentlichkeit mit diesem Entführungsfall, als ob Archäologin und konvertierte Muslima einen Makel darstellen. Deshalb will die UO-Redaktion an dieser Stelle auf das Engagement von Frau Osthoff im Irak aufmerksam machen, das ungewöhnlich ist und mit dem in Deutschland beständig geforderten Begriff Zivilcourage nur unzureichend beschrieben werden kann.
Ausgangspunkt: Irak-Intervention der USA
„Das Leid der 43-jährigen Archäologin und ihres Fahrers ist auf dem Foto nur zu ahnen, eines aber ist deutlich: Es zeigt Susanne Osthoff in der Opferrolle. Nach allem, was man über sie weiß, muss allein das eine Horrorsituation für die umtriebige Bayerin sein, die doch ihrerseits die Hilfe für die Not leidende Bevölkerung im Irak in den vergangenen Jahren zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hat. „Wenn Sie wissen, wie die Menschen leiden, da kann man nicht warten, da muss man handeln“, hat Susanne Osthoff im März 2004 gesagt, als sie den „Tassilo“-Preis der „Süddeutschen Zeitung“ für Zivilcourage verliehen bekam. Osthoff hatte es im Jahr zuvor als erste Deutsche noch während des laufenden Irakkriegs geschafft, einen Lastwagen mit Medikamenten von Damaskus nach Bagdad zu bringen. Die angesehene internationale Hilfsorganisation IPPNW war seinerzeit froh, die fließend Arabisch sprechende Frau, die schon während ihres Studiums in München den Irak als ihre Leidenschaft entdeckt hatte, als Transportbegleiterin zu gewinnen. „Sie kennt dort unten Gott und die Welt“, heißt es anerkennend bei IPPNW, „und sie hat es damals wirklich geschafft, dass die Medikamente an ihren Bestimmungsort kamen und der Transport vorher nicht geplündert wurde.“ Angeblich hatte Osthoff damals Beduinen-Schleichwege quer durch die Wüste genutzt, um Überfällen auf den Lastwagen zu entgehen. Nach ihrer Ankunft in Bagdad erkrankte sie an Typhus.
Ein harter Einsatz ist das, rücksichtslos gegen sich selbst, immer im Dienst der Sache. Es scheint ihr Lebensmotto zu sein. Der Frankfurter Arzt Ulrich Gottstein, der sie im Mai 2004 im vom Krieg zerstörten Bagdad traf, um ihr, die „sehr knapp mit Geld war“, finanziell unter die Arme zu greifen, erinnert sich an eine vor Energie strotzende „arabisch gekleidete“ Frau, die gleichwohl „tieftraurig über das Elend der Menschen dort unten war“. Wehmut. Trauer. Wut. Waren das die Antriebsfedern der Susanne Osthoff? Hat sie, die noch zu Kriegszeiten einmal ihre Hilfsphilosophie so beschrieben hat: „Die Flüchtlinge kommen nicht raus, also muss ich rein“, dabei womöglich die Gefahr für ihr eigenes Leben übersehen? „Wenn man nass ist, dann spürt man den Regen nicht mehr“, hat Susanne Osthoff, Mutter einer elfjährigen, in Deutschland bei Freunden lebenden Tochter, einmal gesagt und damit ihr von viel Entbehrungen gekennzeichnetes Engagement für die Menschen im Irak zu erklären versucht.
Doch in der Gemeinschaft der internationalen Hilfsorganisationen wird der Einsatz im Irak zunehmend als unverantwortbar gefährlich angesehen. So stellten im vergangenen Jahr viele ausländische Organisationen nach und nach ihre Arbeit ein. „Im Irak kann man nicht mehr arbeiten“, sagt ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der schon vor dem Krieg in Bagdad war und auch die entführte Susanne Osthoff kennt. „Der Aufwand und die Gefahr stehen in keinem Verhältnis zum Resultat mehr“, fasst er, der ungenannt bleiben will, seine Erfahrungen zusammen – nichts sei mehr vorhersehbar, keiner der in anderen Krisenregionen üblichen Schutzmechanismen greife mehr.
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/30.11.2005/2205674.asp