Anmerkungen zur Debatte über die Böhsen Onkelz

Von Tilman Scheer (Musik)

Liebe Leute, ich verstehe die hitzige Debatte nicht, die sich an einer Band entzündet, die weder nach musikalischen Kriterien, noch von ihren Textinhalten in irgendeiner Weise besonders herausragend ist.
Man kann sich ja mal darüber unterhalten, ob einige der frühen Onkelz-Texte politisch bedenkliche Aussagen enthalten, die der Band Sympathien im rechtsradikalen Lager eingebracht haben. Die Onkelz haben sich allerdings seinerzeit recht schnell von dieser Szene distanziert und sind sicher keine Fascho-Band; da gibt es ganz andere, hier nicht unbedingt zu benennende Gruppen.

Ihre Texte sind durch primitive Direktheit gekennzeichnet. Subtilitäten oder differenzierte Aussagen lassen sich nicht ausmachen und genau das ist gewollt, damit Journalisten mit dem Hang zu pauschalisierender Darstellung immer wieder entsprechendes „Futter“ bekommen, mit der Folge, dass der Bandname in den Schlagzeilen auftaucht. Irgendwie muss man sich ja von den Toten Hosen und anderen Punk-Rock-Bands absetzen, wenn dies auf der musikalischen Ebene schon nicht möglich ist.
Warum redet eigentlich niemand über die Musik? Immerhin sprechen wir über eine Band, so dass dieser Gedanke eigentlich naheliegend wäre. Die Antwort lautet: Weil es da nichts zu reden gibt. Wo sich in den Texten noch eine gewisse Provokationskraft ausmachen lässt, ist die musikalische Umsetzung billigster Durchschnitt, und das nicht nur gemessen an der Vielfalt der heutzutage auf Tonträgern verfügbaren Musikstile, sondern auch innerhalb der Punkrock- und Metalszene.

Steve Vai mit Katze

Wer Gonzo für einen herausragenden Gitarristen hält, der möge sich zum Beispiel mal Steve Vai anhören. Die Zahl der Rockgitarristen, die ihr Instrument wirklich beherrschen, wächst ständig. Gonzo gehört nicht dazu. Nun mag man einwenden, dass statt virtuoser Instrumentenbeherrschung ein spezifischer Gruppensound Gegenstand der Betrachtung sein sollte, der sich durch Originalität, Kraft und Härte auszeichnet. Schliefllich kommen die Onkelz ursprünglich aus der Punkbewegung. Pustekuchen, leider vermag sich die Band auch in diesem Bereich nicht positiv von zahllosen anderen Gruppen abzusetzen. Die immergleichen, altbekannten Harmoniefolgen und Songstrukturen werden abgenudelt. Es handelt sich im Grunde um eine im wahrsten Sinn des Wortes konservative, und überdies nicht sehr spannende Musik. Liebe Leute, der Sound einer verzerrten E-Gitarre ist noch kein Garant für innovative oder im positiven Sinne provozierende Musik. Damit kann man vielleicht noch einen Mittfünfziger auf die Palme bringen, der die Rolling Stones nach wie vor für die beste und härteste Rockband aller Zeiten hält (und der damit einen Fehler macht, den ihr auch im Begriff seid zu machen), sonst aber niemanden.

Rolling Stones in Milwaukee 1964

Auch in der Rock- und Metalszene gibt es musikalisch wesentlich interessantere Musik. Danach muss man allerdings zuweilen suchen, die CDs stehen nicht im Media-Markt im Regal. Hört euch zum Beispiel mal die Metal-Miniaturen von John Zorn mit der Band Naked City an, Stücke, die an Dichte, Härte und aggressiver Ausdruckskraft kaum zu überbieten sind, und die innerhalb einer durchschnittlichen Länge von fünfzig Sekunden ungleich mehr musikalisches Potential enthalten, als jeder 3-Minuten Onkelz-Song.

Die Voraussetzung wäre, dass ihr wirklich an Musik interessiert seid, was ich angesichts der in der Debatte über die Onkelz vorgebrachten Argumente bezweifeln möchte. Sagt doch einfach, dass ihr mit der Musik Spass beim Saufen und Abfeiern haben wollt und vielleicht auch noch ein wenig eure 68er-Eltern provozieren wollt. Damit wäre der Stellenwert klar und man braucht sich nicht weiter darüber unterhalten.

John Zorn (re) mit der Band Naked City

Wirklich schlimm sind nicht die Onkelz, sondern die Leidenschaft und Ernsthaftigkeit, mit der die Debatte geführt wird. Die Onkelz machen nichts kaputt, sie unterscheiden sich nur graduell von anderen Produkten, die Plattenfirmen und andere Konzerne für Jugendliche in einer Freizeitgesellschaft konzipiert und vermarktet haben. Lasst euch nichts vormachen. Das Provokationspotential der Onkelz ist durchaus noch gesellschaftsfähig, etwa zu vergleichen mit der Benetton-Werbung. Man sorgt für Aufregung, es gibt einen kleinen Skandal, Big Business ist zufrieden ob der erreichten Medienpräsenz und macht viel Kohle mit einem Produkt, das sich trotz musikalischer Durchschnittlichkeit seit fast zwei Jahrzehnten auf dem Markt hält.

Benetton-Werbung

Wenn ihr wirklich Gesellschaftskritik üben wollt, dann müsst ihr es intelligenter und außerhalb der Marktmechanismen des Musikbusiness machen. Wenn ihr kritische Gedanken musikalisch vermitteln wollt, müsst ihr euch mit Musik soweit beschäftigen, dass ihr nicht auf althergebrachte Stereotypen hereinfallt. Vielleicht inszenieren die Musikkonzerne mit den Onkelz und anderen Bands, die nicht zum absoluten Mainstream gehören, den kalkulierbaren Aufstand einer gesellschaftlichen Randgruppe (bzw. denen, die vielleicht manchmal gerne eine gesellschaftliche Randgruppe wären), um auch damit noch Geld zu verdienen und Ihr, Onkelz-Fans wie Gegner, seid Teil dieses Räderwerkes, wenn ihr die Debatte so führt, wie es geschehen ist.