Du bist der lebende Tod auf Erden

 

Von unserer Redakteurin Kim Kraft (23.11.2006 23:48)

„Magersucht – oh, wie sehr liebe ich dich!
Du lässt mich niemals allein.
Magersucht – oh, wie sehr brauche ich dich!
So schlank könnte ich ohne dich nicht sein.
Magersucht – oh, wie sehr hasse ich dich!
Du bist der lebende Tod auf Erden.
Magersucht – oh, wie sehr verabscheue ich dich!
Mit dir kann ich niemals glücklich werden.“

Das sind die Worte eines Mädchens, die an Anorexie – medizinischer Begriff für Magersucht – litt. Innerhalb eines Jahres geriet sie in den Teufelskreis der Magersucht. Das Mädchen, nennen wir sie Sarah, fing mit 16 Jahren an zu hungern. Mit einem Anfangsgewicht von 54 kg war sie ein normal gewichtiges Mädchen, das eines Tages in den Spiegel blickte und nur Fett an ihrem Körper sah. Sie setzte sich ein Ziel: 4 kg müssten runter.

Sie merkte, dass mit den Kilos, die fielen, ihre Noten in der Schule besser wurden. Mit der Zeit stieß sie ihre Freunde und die Familie immer weiter von sich weg und die anfangs noch verhasste Waage wurde schnell zu ihrer besten Freundin. Das Hungern unterstützte sie mit exzessivem Sporttreiben. Bei 44 kg angelangt traten die ersten Symptome auf. Sie bekam Haarausfall, ihr Kälteempfinden war gestört und sie sackte oft zu Boden und hatte Angst zugenommen zu haben, wenn sie es nicht tat. Sie trank weder, noch aß sie etwas anderes außer Kaugummis. Sie bekam trockene Augen und den trockenen Mund spülte sie mit Wasser aus, welches sie aber anschließend wieder ausspuckt, denn „Wasser hat auch sein Eigengewicht“! Für Sarah bedeutete essen und trinken Schwäche.

Als sie nur noch 41 kg wog, fand sie zufällig ihre Symptome im Internet und musste sich eingestehen, dass sie magersüchtig war. Ihr wurde schnell bewusste, dass Magersüchtige nicht gleich geheilt sind, wenn sie an Gewicht zunehmen. Sie ging zu einem Arzt, der sich aber mit dieser Krankheit wenig auskannte und sie zutiefst verunsicherte. Sie müsse aufpassen, dass sie nicht zu viel essen solle, ansonsten bekäme sie vielleicht noch Fettsucht. Sie versuchte gegen die Krankheit alleine anzukämpfen, doch bei einem einzigen Brot, dass sie am Tag aß, tat ihr Bauch schon weh.

Der Psychiater, den sie aufsuchte, konnte ihr ebenfalls nicht helfen. So beschloss sie, da ihre Mutter ihr misstrauisch gegenüber stand und die Menschen in ihrer Umgebung unter ihrer Krankheit litten, in ein Krankenhaus zu gehen und sich dort behandeln zu lassen. Ein „normaler Mensch“ braucht für eine Suppe ca. 10 Minuten, doch Sarah brauchte anfangs zwei Stunden, bis sie die Suppe aufgegessen hatte. Sie litt sehr unter dem Misstrauen, das ihre Eltern ihr entgegenbrachten. So wurde sie von ihrem Vater beschuldigte, vor dem Wiegen einen Liter Wasser getrunken zu haben, um ein höheres Gewicht vorzutäuschen. Nach großen Schwierigkeiten schaffte sie es dennoch, die Krankheit zu besiegen und hat heute ein normales Verhältnis zu ihrem Körper. Sie wird zwar das Essen immer etwas anders sehen, aber sie gehört nicht zu den Drittel, das an der Krankheit stirbt.

Die Krankheit, die sich erst in der Nachkriegszeit, den 50er Jahren, so rasant verbreitete, betrifft überwiegend die 13 bis 25-jährigen Mädchen der oberen Mittelschicht. 90 bis 95% der Magersüchtigen sind überdurchschnittlich begabt. In den Ländern, wo Hunger und Not herrscht, gibt es kaum Essstörung. Auch wenig schwarze Frauen in den USA leiden unter Anorexie. Es gibt zwei Untergruppen der Anorexie, die so genannten „dieters and restricters“ (Diätiker und Einschränkende), die ihr Gewicht durch Reduktion der Kalorienaufnahme verringern und die „vomiters and purgers“ (Erbrecher und Abführer), die ihr Gewicht durch selbst herbeigeführtes Erbrechen oder Missbrauch von Abführmittels reduzieren. In der heutigen Gesellschaft steht Schlankheit für Attraktivität, Dynamik und Erfolg. „Das Körpergefühl einer Frau spiegelt unweigerlich ihre Verinnerlichung von vorherrschenden gesellschaftlichen Normen wieder. Und je nachdem, wie ihr eigenes Urteil fällt, wie in oder out ihr Körper ist, gemessen an den zurzeit vorherrschenden Normen weiblicher Attraktivität, steigt oder fällt ihre Selbstachtung“.

Als Abschluss möchte ich persönlich noch sagen, dass ich alle, die es geschafft haben, diese Krankheit zu bekämpfen, wirklich bewundere und diejenigen, die noch immer mit ihr kämpfen, nicht aufgeben sollen!