Von unserem Redakteur Michael Brehme (07.03.2007)
Es ist eines dieser Themen, das eigentlich immer als aktuell durchgeht – in fast allen Gesellschaftsbereichen. Es geht um die Frage nach der Disziplin. In der Schule, im Job, in der Erziehung und Familie. Wo ist eine straffe Hand angebracht, wo eine entspanntere Atmosphäre von Vorteil? Eine Frage, an der sich die Geister scheiden.
Von Zeit zu Zeit werden die schulischen Erziehungsmethoden infragegestellt, kritisiert, diskutiert. Letztendlich bleibt im Normalfall meist alles beim Alten, denn echte Änderungen scheitern schon im Vorfeld. Auch, weil die Bedeutung der Disziplinfrage immer umfassender und die Umsetzung damit schwieriger wird. Und hat der Staat überhaupt Möglichkeiten, sinnvolle weitgehende Änderungen einzuleiten, wenn die eigentlichen Probleme schon im Elternhaus anfangen?
Da, wo die häusliche Erziehung versagt, soll die Schule entgegensteuern, obwohl diese selbst schon genug eigene Probleme hat, ihren Schülern Werte und Normen zu vermitteln. Und die häusliche Erziehung versagt immer öfter. Der Begriff Disziplin steht daher nicht mehr losgelöst für sich, sondern ist eine echte Gesellschaftsfrage geworden. Eine, die mehr und mehr in Verruf gerät.
So ist es keine Überraschung, dass in diesen Zeiten vor allem Disziplinverfechter die Öffentlichkeit suchen. Bernhard Bueb ist so einer. Dreißig Jahre lang war er Leiter der berühmt-berüchtigten Internatsschule Schloss Salem, bekannt geworden durch ihre harten Strafen und deren straffe Handhabung. Drogentests, Frühsport und Alkoholkontrollen – was in öffentlichen Schulen schon allein aus finanziellen Gründen nicht möglich erscheint – wird hier mehrmals wöchentlich umgesetzt.
Erst jüngst untermauerte Bueb seine Thesen, genau ausgeführt auf exakt 160 Seiten. Gegen Ende letzten Jahres brachte er sein Buch „Lob der Disziplin“ auf den Markt. Ein kollektiver Erlösungsseufer unter den ratlosen Erziehern war die Folge. Kaum eine Zeitung, kaum ein Sender, in denen „Deutschlands strengster Lehrer“ seine vermeintlichen Erfolgsmethoden nicht immer wieder aufs Neue zum Besten geben durfte. „Strenge, Härte und Disziplin“ seien Grundvoraussetzungen im Umgang mit jungen Menschen, schreibt Bueb. Die „vorbehaltlose Anerkennung“ von Autoritätspersonen müsse sichergestellt werden, zumal „Erziehung immer Führung“ bedeute.
„Ich muss Kindern Vorbild sein“, sagt er. Das könne man allerdings nur dann erreichen, „wenn sie mich als Autorität anerkennen.“ Autorität bringt immer Unterordnung mit sich – ein Punkt, der vor allem den Verfechtern der oft zitierten 68er-Generation aufstößt. Man könne den Kindern nicht nur die harten Sitten in Form von Befehl und Gehorsam beibringen, sagen Buebs Kritiker.
Daniel Cohn-Bendit, Europaabgeordneter für die Grünen in Brüssel, sieht die Autoritätspersonen junger Menschen als ihre Begleiter an, nicht als ihre Vorgesetzten: „Erzieher oder Eltern dürfen keine Gummiwand sein, sondern müssen ihren Kindern Angebote machen.“ Buebs Vorschläge seien nicht im Sinne demokratischer Strukturen. Denn Demokratie beinhaltet Mitbestimmung, die Bueb vernachlässige. „Letztendlich müssen die Jugendlichen selber mit ihrem Leben fertig werden“, sagt Cohn-Bendit.
Und dennoch: In Zeiten, in denen die Jugendarbeitslosigkeit weiterhin große Sorgen macht, sind die Ansätze Buebs in der Öffentlichkeit durchaus gefragt. Die Perspektivlosigkeit der jungen Generationen wird aber erst dann richtig wahrgenommen, wenn sich die Medien dem Thema annehmen. Wenn Eltern keinen anderen Rat mehr wissen, als sich die RTL-Supernanny zu rufen und sich als Preis dafür von einem Millionenpublikum ins Gekröse schauen zu lassen. Oder wenn wie auf Berlins Rütli-Schule SOS gefunkt wird, wenn Gewalt auf der Tagesordnung steht, wenn Schüler zu Unterdrückern und Lehrer zu Unterdrückten werden. Ein Spiegelbild von dem also, was sich Bueb vorstellt. Ein erschreckendes – in jeder Hinsicht.