Hopfen & Malz – Gott erhalts

(19.05.2001 14:08)

Bör/se (ml.), die; -; -n: Geldbeutel: Genossenschaft: Versammlungsort der Kaufleute: Haus zur Abschließung von Handelsgeschäften.
[[pfeil Zum Artikel: Sucht- und Drogenbericht 2000 – „Rauschtrinken“ liegt bei Jugendlichen im Trend#artikel.php3?id=304]

Der Bürgermeister der Stadt Kassel, Ingo Groß, hat für die Bierbörse vom 11. bis 13 Mai 2001 höchstpersönlich geworben. Da gerade bei Jugendlichen das „Rauschtrinken“ zunehmend beliebter wird und mancher Schüler den Abi-Streich mit ausgepumpten Magen beendete, war es ein Grund für den UMLAUF, dem Versammlungsort dieser „Bierkaufleute“ einen Besuch abzustatten.

Am Freitag Nachmittag um 15 Uhr öffnete die Kasseler Bierbörse zum zweiten Mal ihre Tore. Bei strahlendem Sonnenschein war um 17 Uhr noch immer mäßiger Betrieb angesagt. Im Gegensatz zum letzten Jahr, als die Börse direkt vor der Orangerie stattfand, war dieses Wochenende die Gärtnerwiese Ausflugsziel Nr.1 für alle Bierliebhaber in und um Kassel.

Mit der Dämmerung kamen auch immer mehr Gäste vom Kinderwagen-Alter bis zum Rentner auf die Gärtnerwiese, um die neuen und alten Biere der bekannten und weniger bekannten Brauereien zu testen. Die Auswahl war groß und eine ungefähre Planung, was man zu trinken gedacht hatte, war die Voraussetzung, wollte man nicht im betrunkenen Zustand seinen Heimweg antreten.

Die Liebhaber des „goldenen Saftes“ konnten zwischen Bananenbier und anderen Fruchtbieren, Chilibier oder ausländischen Bieren wie z.B. koreanischen wählen. Bei den Jugendlichen kam eine – in Kassel nur in einem Lokal am Auestadion erhältliche Sorte – gut an: das Hanf-Bier. Das lag aber wohl weniger am Geschmack als an der Erwartung, dass eine geringe Menge THC enthalten sein könnte, was bekanntermaßen oftmals in Form von Joints inhaliert wird.

Doch gab es auf der Börse nicht nur Getränke; beinahe ebenso viele Essensstände von Pizza über Bratwurst bis hin zum Backfisch sorgten dafür, dass keinem der Magen knurrte und auch Sammler von Model-Trucks und anderen Kleinigkeiten kamen auf ihre Kosten. Jeder volljährige Besucher hatte zudem die Möglichkeit, an einem Gewinnspiel für ein Auto teilzunehmen. Und auch für die kleinen Besucher war mit einem Karussell für Vergnügen und Kurzweil gesorgt.

Statt einer einzigen großen Bühne mit Musik wie im letzten Jahr kümmerten sich diesmal einige Stände selbst um die Musik und nur auf einer Bühne sorgten die Live-Bands für gute Stimmung. Dies hatte jedoch zur Folge, dass, wenn man nicht gerade an einem dieser „Musik-Stände“ Halt machte, aus allen Richtungen die verschiedensten Musikstile zu hören waren, was dann eher als Lärm und nicht mehr als Unterhaltungsmusik wahrgenommen wurde.

Doch wie sieht es auf der 2. Kasseler Bierbörse mit der Einhaltung des Jugendschutzgesetzes aus, das da lautet:

§4 [Abgabe alkoholischer Getränke]

(1) In Gaststätten, Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit dürfen
1. Branntwein, branntweinhaltige Getränke oder Lebensmittel, die Branntwein in nicht nur geringfügiger Menge enthalten, an Kinder und Jugendliche,
2. andere alkoholische Getränke an Kinder und Jugendliche unter sechzehn Jahren weder abgegeben noch darf ihnen der Verzehr gestattet werden?

UMLAUF wollte wissen, ob ein 13-jähriger Teenager Alkohol kaufen kann – mit dem nüchternen Ergebnis: Ja, kann er und zwar ohne Probleme. An fast jedem Stand erhielt unser Tester ein Bier und wenn er doch einmal als „zu jung für Alkohol“ eingestuft wurde, reichte ein ausgestreckter Zeigefinger in die Menge mit den Worten „Ich hol das Bier doch nur für meine Eltern.“ Wenn Veranstalter Kay Rohr der HNA auch erklärte, die Bierbörse sei „kein Sauffest“ sondern Präsentation von „Braukultur“, so muss er doch zugeben, dass Jugendliche, die im Getränkemarkt nicht die Möglichkeit haben, Alkohol zu kaufen, auf der Bierbörse die „Braukultur“ zuhauf testen konnten. Und als um ein Uhr nachts die letzten Stände schlossen, hatten wir genügend Männer und Frauen – gestützt von Freunden oder Familie – Richtung Heimat torkeln gesehen, wenig richtungsweisend für manchen Jugendlichen.

Letztendlich war der erste Abend der 2. Kasseler Bierbörse aber dennoch mehr eine gemütliche Feier als ein „Sauffest“, und man konnte sich amüsieren – auch ohne sich zu betrinken. Auf Nachfrage war festzustellen, dass vielen Besuchern die Bierbörse im Jahr 2000 besser gefiel und viele der Befragten nur dort waren, um sich „mit Freunden zu treffen“. Nur die älteren befragten Herren kamen größtenteils, um „die Biervielfalt zu bewundern“ und „verschiedene Sorten zu probieren“.

So schoss das Vorhaben der Veranstalter, „Braukultur“ zu demonstrieren, mit einer solch kleinen Zielgruppe am Ziel vorbei. Doch das kann den Veranstaltern egal sein: sie konnten sich über die Besucherzahlen freuen, haben viel Bier verkauft, der Stadt Kassel ein paar Mark an Gebühren verschafft und dem „Blauen Kreuz“ eine weitere schlaflose Nacht.

Nahrungsmittel, Genussmittel oder Droge?

Den Präsidenten des Landgerichtes Kassel hat es hart getroffen. Fast 40.000,- DM Geldstrafe muss er bezahlen, weil er für schuldig gesprochen wurde, sich im Juli 2000 betrunken auf einem Feldweg festgefahren, ein Feld in Brand gesetzt und einen Polizisten genötigt zu haben, auf die Blutprobe zu verzichten. Ende einer steilen Karriere.

Oft wird Alkohol verteufelt, und trotzdem darf er bei keiner festlichen Tafel fehlen; in Maßen genossen fördert er die Gesundheit. Zunehmend stehen jedoch die Risiken im Vordergrund.

In früheren Zeiten kam dem Alkohol eine völlig andere Bedeutung zu. Lange hat man damit selbstverständlich den Durst gestillt. Alkohol war „Nahrungsmittel“ wegen des hohen Kaloriengehalts und lebensnotwendiges Getränk, da die Wasservorräte meist völlig verunreinigt waren. Es hatte seinen Grund, dass Jesus Wasser in Wein verwandelte, und es war keine brutale Folter, wenn römische Legionäre dem gekreuzigten Jesus einen Essigschwamm reichten; leicht saurer, essigähnlicher Wein war das Volksgetränk der Mittelschichten.

Aber erst 1813 stellte der Brite Thomas Trotter in einem Essay über Trunkenheit den Alkoholmissbrauch als Krankheit dar. Er erkannte, dass bei Gewohnheitstrinkern, die über längere Zeit regelmäßig Schnaps konsumieren, die Leber Schaden nimmt und Gelbsucht, Auszehrung und geistige Störungen auftreten – Symptome, die selbst in nüchternem Zustand bestehen bleiben. Um 1900 sprachen mehrere Staaten ein totales Alkoholverbot aus; zwischen 1920 und 1933 galt es für die gesamten USA.

Heute gilt die Krankheit als eine der bedeutendsten überhaupt. Deutschland verzeichnet im Jahr rund 40.000 Alkoholtote. Die genaue Zahl der Alkoholabhängigen lässt sich schwer schätzen; die Statistik nennt 2,5 Millionen. Aber nicht nur die Süchtigen allein kommen zu Schaden. Bis zu einem Drittel der Bevölkerung dürfte durch ein trinkendes Familienmitglied direkte Berührung mit dem Problem gehabt haben. Schwer alkoholgeschädigte Kinder, die körperlich und geistig für ihr Leben gezeichnet sind, weil die Mutter Trinkerin war, kommen hinzu. Bisher gibt es gegen Alkoholismus leider keine Idealtherapie. Die einzige wirklich wirksame medizinische Maßnahme ist nach wie vor die völlige Abstinenz.(BP)

empfehlenswerte Literatur:
Alkohol – Konsum und Missbrauch. Alkoholismus – Therapie und Hilfe. Herausgegeben von: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren. Lambertus, Freiburg 1996.
Die Macht der Trunkenheit. Kultur- und Sozialgeschichte des Alkohols in Deutschland. Von Hasso Spode. Leske und Buderich, Leverkusen 1996.
Kleine Kulturgeschichte des Alkohols, in: Spektrum der Wissenschaft, 8/1998