Ja zum Castor-Transport

Von unserem ehemaligen Redakteur Sebastian Fischer (09.03.2001 15:19)

Nachbarin Jeanne hat eine neue Bio-Tonne. Und Michel hat viel Bio-Müll. Deshalb liefert er seinen Abfall bei Jeanne ab. Die hat noch Platz und möchte ihr Haushaltsgeld aufbessern. Doch nachdem der Michel-Müll zu Kompost geworden ist, mag ihn der Verursacher nicht zurücknehmen: Seine Kinder wollen den Dreck nicht und machen den Gartenzaun dicht.
Unfair?

Greenpeace Aktivisten bei ihrem Kampf gegen den Castor-Transport

Am 26. oder 27. März werden Jeanne Frankreich, Michel Deutschland und die Kinder Castor-Gegner sein. Die Lage ist klar: Die Bundesrepublik hat Atom-Müll zur Wiederaufarbeitung nach La Hague, nach Nordfrankreich geschickt. Nun ist die Arbeit erledigt, Castoren werden erstmals seit 1997 wieder auf deutschen Gleisen rollen. Ziel ist der Salzstock in Gorleben, Niedersachsen. Wie eh und je wollen Anti-AKW-Bewegte gegen die Transporte demonstrieren, wie eh und je wollen einige von ihnen Schienen unterhöhlen und Sperren errichten. Das Land stellt schon mal 20.000 Polizisten bereit.
Doch die Lage ist nicht wie eh und je, sie hat sich grundlegend geändert. Der Staat wird nicht mehr regiert von denen, die in der Atomkraft stets Zukunft sahen, die die Risiken herunterspielten, denen nicht mal der Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 die Augen öffnete. Heute regieren diejenigen, die vor vier Jahren gemeinsam mit den heutigen Demonstranten gegen die Castoren demonstriert haben; diejenigen, die an eine Alternative glaubten und glauben (am letzten Präsens können durchaus Zweifel angebracht werden). Diese ehemals Demonstrierenden, heute Regierenden haben einen Atomkonsens mit der Industrie geschlossen: Voraussichtlich 2021 wird das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet. Das ist bitter für die, die einen schnellen Ausstieg wollten. In 20 Jahren kann viel passieren. Vom Atomkraftwerk Biblis etwa hört man jeden vierten Monat von einem irgendwo auftretenden Riss in der Kühlung oder sonstwo. Aber nach 20 Jahren ist Schluss, dann wird es in Deutschland keinen Atomstrom mehr geben. Und mit dieser Perspektive ist es falsch, deutschen Müll nicht zurück nach Deutschland holen zu wollen. Vielmehr wäre dies ein Affront gegen Frankreich.
Andererseits: Verstehen kann man den Protest der direkt Betroffenen im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg. Gorleben ist kein sicheres Endlager, das haben verschiedene Untersuchungen gezeigt. Der Salzstock kann die Menschen vor dem strahlenden Müll nicht schützen – und für diese Menschen macht es keinen Unterschied, ob die Regierung rot-grün oder schwarz-gelb ist. Die Bundesregierung muss nach anderen Standorten suchen. Ob die dann sicherer sind, ob dieser Müll überhaupt irgendwo sicher sein kann, ist die Frage. Doch es bleibt dabei: Wer Müll produziert, der muss auch damit leben.
Vielleicht sollte man deutschlandintern das Verursacherprinzip anwenden: Seit 50 Jahren plädiert jede bayerische Staatsregierung für Ausbau und Erhalt der Atomenergie. Unter weiß-blauem Himmel lässt sich bestimmt ein netter Flecken für ein atomares Endlager finden.