Rupert Neudeck

Von unserem Redakteur Stefan Hoffmann (01.03.2003 13:08)

Rupert Neudeck, der Leiter des Hilfsprojekts „Cap-Anamur, besuchte am Freitag, den 28. Februar 2002 die Stadt Kassel auf Einladung des Antroposopischen Zentrums Kassel zu einem Vortrag zum Thema „Weltpolitik, Krieg und Kriesen“. Die Aktualität des Themas interessierte auch UMLAUF Online.

Vortrag von Rupert Neudeck im Auditorium des Antroposophischen Zentrums Kassel

Rupert Neudeck, seit über 20 Jahren aktiv in allen Krisenregionen dieser Welt, nahm kein Blatt vor den Mund. Zwar hätten die Armeen in den letzten Jahrzehnten ihre Funktion durch Einbeziehung ziviler und sozialer Aufgaben im positiven Sinne verändert, aber seit Kriegsbeginn im ehemaligen Jugoslawien wäre eine Rückentwicklung zu beobachten. Ein Hoffnungsschimmer sei jedoch die Verurteilung der jugoslawischen Vizepräsidentin Ende Februar dieses Jahres. Spätestens seit diesen Punkt seit es brandgefährlich geworden für Diktatoren in Europa.

Die aktuelle Kriegsgefahre im Irak und ihre Folgen schätzt er sehr hoch ein. Dabei unterstellt er der US-amerikanischen Administration seit dem 11. September 2001 durchaus eine bewusste Konfrontationsstrategie („Wo fangen wir zuerst an?“), die für Neudeck zu einem Umbruch im Völkerrecht führen werde. Seine Befürwortung einer Zusammenarbeit mit den USA, aber nicht mit dieser US-Administration wurde mit Beifall des gut gefüllten Auditoriums beantwortet.

Wie so oft in den Kriegen dieser Tage treffe es im Konflikt zwischen den USA mit dem Irak wieder ein Land der „Habenichtse“. Er wolle aber den irakischen Diktator keinesfalls entschuldigen, der seinen Machtverlust nie zulassen würde. Fest stehe für Neudeck, dass ein Alleingang der USA allerdings dumm wäre, da die USA die Mentalität des Nahen Ostens nicht kenne und daher eine Einführung einer Demokratie nach westlichem Muster eine totale Fehleinschätzung wäre. Die positive Entwicklung der Kurdenfrage in der Türkei infolge des EU-Aufnahme-Ersuchens und die stabile, demokratische Entwicklung der Kurdengebiete im Nordirak wären durch den Einmarsch der türkischen (!) Armee hinfällig. Cap-Anamur habe zum Aufbau und Bildung einer neuen Infrastruktur in den kurdischen Gebieten beigetragen. Durch einen „Mann aus Übersee“ würde dies alles in Scherben fallen.

Welchen Krieg werden wir erleben? Einen Koalitionskrieg, einen Alleingang der Amerikaner? Schwer zu sagen, doch zum Glück gebe es auch noch die Option für einen freiheitlichen Verlauf. Jedenfalls gebe es einen Nervenkrieg in einer zeitlichen Drohkulisse, in der sich alles verschiebe und Versprechen gemacht würden, die Saddam nie geben wollte. Kritisch für die Amerikaner würde es, wenn nach zwei Wochen Krieg US-Soldaten umkommen und der Unmut in der eigenen Bevölkerung steigen würde. Dies könnte sogar zum Verlust der nächsten Wahl der Republikaner bzw. von George W. Bush führen. Das sehe auch Bush.

Außerdem werde sich Saddam Hussein nicht so schnell vertreiben lassen. Ruppert Neudeck traue ihm sogar zu, dass er die amerikanischen Truppen persönlich einzuladen würde, nur um an der Macht zu bleiben, so dass die USA „dumm aus der Wäsche schauen“ würden.

Rupert Neudeck hofft, dass die Weltordnung auf unserem Planeten wieder hergestellt werde, dass die Menschenrechte für alle gelten, dass die Perspektivlosigkeit der notleidenden Völker ein Ende nehme und auch der Zündstoff in Europa wieder verpuffe. Die Aufgabe der künftigen Generation(en) werde sein, diese ungerechte Weltordnung zu beseitigen, zu verhindern, dass alle sieben Sekunden ein Kind sterbe und dass die Millionenzahl an Menschen abnehme, die mit einem Dollar pro Monat leben müssten.

„Der Krieg halte uns nur davon ab, was wir alle schon längst hätten in Angriff nehmen sollen!“

Rupert Neudeck, Leiter des Komitees Cap-Anamur

Rupert Neudeck ist der Chef des Komitees „Cap Anamur — Deutsche Not-Ärzte“. Der 59jährige aus Troisdorf ist ein Mann an allen Fronten und immer dort zu finden, wo Krieg, Terror und Unglück herrschen. Vor zwanzig Jahren rief der Mann, der zum fanatischen Humanisten wurde, eine Organisation ins Leben, deren Markenzeichen unbürokratische, selbstlose und manchmal auch Rücksichten und Konventionen verletzende Hilfe sind.

Neudeck ist ein radikaler Helfer aus Leidenschaft. Der Kämpfer für Hilfsbedürftigkeit ist ein Mensch mit großer Beharrlichkeit, der überzeugen kann. Sein Credo: „Man kann Verantwortung nicht auf andere schieben, solange man sie selbst hat.“

Die Geschichte der Organisation beginnt in Frankreich. Dort hatte sich Ende 1978 das „Comité un bateau pour le Vietnam“ (Ein Schiff für Vietnam) gebildet mit dem Ziel, ein eigenes Schiff zu chartern, um dem Sterben und Ertrinken im Chinesischen Meer ein Ende zu betreiben. Der Funke sprang nach Deutschland über. Der Rundfunkjournalist sammelte mit einem Kollegen Unterschriften von Menschen, die bereit waren, eine deutsche Aktion ähnlicher Art zu unterstützen. Heinrich Böll gehörte zu den ersten prominenten Befürwortern: „Wir sollten zurückgehen auf das Urmotiv der Lebensrettung.“ Jemand, der vom Ertrinken bedroht sei, den dürfe man nicht nach seiner politischen Einstellung fragen und nicht nach seiner sozialen Herkunft, auch dann nicht, wenn er gerettet sei.

Im Juli 1979 erklärte Neudeck, dass das deutsche Komitee ein Schiff chartern werde. Am 9. August lichtete der Frachter Cap Anamur (das Schiff gab dem Komitee seinen Namen) vom japanischen Kobe aus die Anker, bezahlt mit einer monatlichen Charter von 210.000 Mark, um umgetauft als „Port de Lumière“ (Hafen des Lichts) die Rettungsaktion für die „Verdammten der Meere“ zu beginnen. Insgesamt konnte das deutsche Komitee 11.488 vietnamesische Bootsflüchtlinge retten.

Das Komitee Cap Anamur finanziert sich ausschließlich aus Spenden, mehr als 255 Millionen Mark (davon 54 Millionen Mark für Hilfe im Kosovo) kamen in den 20 Jahren zusammen. Bis auf den Büroangestellten arbeiten alle ehrenamtlich oder, wie Mediziner, Schwestern und Techniker vor Ort, gegen ein Taschengeld von 500 Mark im Monat.

Neudeck-Ehefrau Christel koordiniert die Einsätze. In Afrika, in Asien, in Russland – überall sind Komitee-Mitarbeiter im Einsatz, helfen beim Räumen von Minen, versorgen Flüchtlinge, bauen und betreuen Hospitäler.

Derzeitiger Schwerpunkt ist z.Zt. noch das Krisengebiet auf dem Balkan. Kann Rupert Neudeck etwas anderes tun als helfen? „Ich glaube nicht.“ Ihm geht es weder um Selbstverwirklichung, nicht um Geld und Karriere. Er hilft, packt an, ist sich selbst für niedrigste Arbeiten nicht zu schade. Der ehemalige Jesuiten-Schüler, der alles radikaler und intensiver will: „Ich empfinde unsere Arbeit nicht als heroisch. Die Menschen, denen wir helfen, sind schlechter dran.“

Der promovierte Philosoph, der sich wegen seines manchmal autoritären Führungsstils auch Kritik ausgesetzt sieht, ist ein rastloser Helfer, der Spender überzeugen kann, ein glaubwürdiger Mensch. Neudeck: „Glaubwürdigkeit alleine hilft nicht. Tu es.“

Quelle (gekürzt): Klaus Schmitz, Kulturchronik 6/99

Rupert Neudeck mit den UMLAUF-Redakteuren Christina Gries und Stefan Hoffmann