Un-heimliche Verbindung: Sport und Politik

Die Europameisterschaft 2012 ist seit Monaten dauerhaft in den Medien. Selten war eine sportliche Veranstaltung schon Wochen vorher so umstritten, dass sogar öffentlich zum Boykott aufgerufen wurde. Die Ukraine, in der die Hälfte der Spiele ausgetragen werden soll, sieht sich schweren Vorwürfen gegenüber: Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung Oppositioneller. Losgetreten wurde die Debatte durch die inhaftierte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko. Einige europäische Führungspolitiker beklagten die schlechten Haftbedingungen der erkrankten Politikerin, manche sehen ihre Haftstrafe sogar als ausschließlich politisch motiviert. Aber kann ein Boykott der EM wirklich helfen, die Verhältnisse in der Ukraine zu verbessern? Und sollte eine sportliche Veranstaltung als Mittel zum Übertragen politischer Botschaften genutzt werden?

 

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Renate Künast schlug als Zeichen gegen die Missstände in der Ukraine einen orangenen Schal vor.

 

Bei dem Boykott der EM geht es darum, dass Politiker und Fans den Spielen, die in der Ukraine ausgetragen werden, fernbleiben. Besonders problematisch für deutsche Fußballbegeisterte ist dies, da alle Vorrundenspiele der deutschen Nationalmannschaft in der Ukraine ausgetragen werden. Als Kompromiss schlug Renate Künast, Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, vor, dass alle anreisenden Fans einen orangefarbenen Schal als Zeichen gegen die Missstände in der Ukraine tragen sollen. Zur Zeit der Revolution in der Ukraine stand ein orangefarbener Schal für die demokratischen Ziele der Revolutionäre. Dieser Vorschlag scheint aber nicht besonders durchdacht zu sein, denn welcher deutsche Fan wird schon einen orangefarbenen Schal zum Vorrundenspiel Deutschland gegen die Niederlande tragen?

Während die EU-Kommission und Österreich sich bereits für den Boykott entschieden haben, sind die meisten anderen Länder noch unentschlossen und wollen sich kurzfristig entscheiden, ob ihre Politiker zur EM in die Ukraine reisen werden. Die Ukraine wehrte sich gegen die Vorwürfe und drohte Deutschland des Weiteren mit wirtschaftlichen Konsequenzen. Es gibt aber auch andere Ansätze, um sich öffentlich gegen den vermeintlichen Unrechtsstaat zu stellen. Vermehrt wird der Vorschlag vertreten, dass die Politiker in die Ukraine anreisen sollten, um vor Ort auf die Missstände aufmerksam machen zu können.

Die Diskussion begann ursprünglich, weil die inhaftierte Timoschenko laut öffentlicher Meinung trotz ihrer schlechten körperlichen Verfassung nicht angemessen behandelt wurde. Aufgrund eines Bandscheibenvorfalls soll sie an chronischen Schmerzen leiden. Des Weiteren trat sie in einen fast dreiwöchigen Hungerstreik, mit dem sie gegen ihre Inhaftierung, die sie als politisch motiviert beschreibt, protestieren wollte. Mittlerweile zeigte der öffentliche Druck jedoch Wirkung und Timoschenko wurde in ein von ihr ausgewähltes Krankenhaus verlegt.

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Auch der Große Preis von Bahrain sorgte für Kontroverse.
Ähnliche Proteste wie im Moment gegen die Ukraine gab es auch schon vor einigen Wochen, als die Formel 1 in Bahrain stattfand. Vor Ort kämpften Regierungsgegner gegen Polizisten, was sogar zum Tod eines Demonstranten führte, während die Formel 1-Piloten, abgeschottet von den blutigen Aufständen, ihr Rennen fuhren. Aber was ist nun richtig? Darf man Unmengen an Geld für eine Sportveranstaltung ausgeben und diese dann auch in allen Zügen genießen, wenn im direkten Umfeld Menschen leiden? Diese Frage kann man kaum klar beantworten. Zum einen handelt es sich um Sportveranstaltungen, die selbst natürlich nicht direkt etwas mit Politik zu tun haben. Inwieweit man ein Spiel aber unbeschwert genießen kann, obwohl man weiß, was außerhalb des Stadions passiert, kann jeder nur für sich selbst entscheiden. Fabia Ljatifi aus der Q2 sagt dazu: „Ich glaube nicht, dass ein Boykott der EM wirklich die politischen Verhältnisse in der Ukraine verbessern könnte. Die Regierung wird ihre Politik wohl kaum von Grund auf ändern, nur weil einige Zuschauer nicht kommen, auch nicht, wenn es Politiker sind. Ich denke sogar, dass so etwas zu noch mehr Problemen führen könnte.“

„Eine Sportveranstaltung sollte nicht als politisches Mittel genutzt werden“, findet Melanie Börner und fügt hinzu: „Es ist gut, dass durch die EM die Aufmerksamkeit auf die Probleme gelenkt wurde. Aber zur Veränderung der Umstände sollte man die Politik und nicht den Sport nutzen.“

Wie einflussreich die Medien sein können, hat die Vergangenheit bewiesen. Auch Anke Engelke bezog sich auf die Kraft der Medien, als sie am Abend des Eurovision Song Contests auch mahnende Worte and das Gastgeberland Aserbaidschan richtete. Weil auch Aserbaidschan schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, erinnerte sie das Land mit den Worten „Europe is watching you“ daran, dass man auch nach dem Wettbewerb von dem Land noch deutliche innerpolitische Verbesserungen erwartet. Die Aufmerksamkeit Europas wurde auch in Bezug auf die Ukraine geweckt und vielleicht ist das viel wirksamer als ein Boykott. Bis jetzt agierte die Regierung der Ukraine zuweilen recht unbehelligt, doch von nun an muss sie sich in den nächsten Wochen vor den Augen der Welt präsentieren. Das könnte und sollte Ansporn genug sein, etwas zu verändern, denkt der unbedarfte Beobachter.  Bleibt nur zu hoffen, dass die Protesthaltungen auch nach Ende der EM so deutlich bestehen bleiben! 

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