Otto Hess war in den zwanziger Jahren ein Lehrer an der Oberrealschule II, später umbenannt zu unserem Goethe-Gymnasium. Er schlenderte gerne durch die Gänge, wo die Schüler ihn fröhlich mit „Guten Morgen, Onkel Otto“ begrüßten. Bei seinen Klausuren dachten die Schüler, sie könnten spicken, denn er saß vorne gemütlich an seinem Pult und las Zeitung. Was sie aber erst sehr spät bemerkten, war, dass er sich einen Spaß machte und Gucklöcher in seiner Zeitung hatte. Er mochte es, Lehrer zu sein, und kümmerte sich zugewandt um seine Schüler.
In den Dreißigern gewann der Antisemitismus in Deutschland die Oberhand. Das NS-Regime mit seiner unmenschlichen Ideologie hatte Deutschland fest im Griff und machte vielen Menschen das Leben zur Hölle. Warum auch Otto Hess davon betroffen war? Er war Jude. Der damals sehr beliebte Lehrer wurde im Zuge der Machtergreifung der Nazis nun zu jemandem, dem nur noch mit Unmenschlichkeit und grundlosem Hass begegnet wurde. Schüler spuckten ihn in der Schule an und Kollegen mieden ihn. Es dauerte nicht lange, bis er 1935 durch erlassene Gesetze seinen Beruf verlor. Dies war das Ende seines Lehrerdaseins, und nicht viel ist darüber bekannt, was er im folgenden Jahr tat. Sicher ist aber, dass er sich im Sommer 1937 nach Südtirol auf eine Bergbesteigung in Meran begab. Von da an wurde er für ein Jahr nie wieder gesehen, 1938 fand man seine Leiche. Die Todesursache war ein Sturz von einer Klippe. Natürlich wurde über seinen Tod viel spekuliert: Neben der Vermutung, der Nationalsozialismus habe ihn in den Tod getrieben,wurde auch gemutmaßt, dass es ein Unfall gewesen sei, wogegen jedoch spricht, dass Otto Hess ein begnadeter Bergsteiger war. Die genauen Umstände werden vermutlich nie geklärt werden.
Nun, 80 Jahre später am 01.09.2017, als sich sein wahrscheinlicher Todestag jährte, fand die Wiederaufnahme in das Kollegium des Goethe-Gymnasiums statt. Otto Hess erhielt seinen Platz an seiner Schule wieder, wo ab jetzt jeder an ihn erinnert wird: Auf dem Schulhof, den er damals jeden Tag beschritt, wurde unter den Torbogen ein Stolperstein gesetzt und Hess mit einer feierlichen Einweihung wieder ans Goethe-Gymnasium geholt. Begleitet wurde die Zeremonie von Kolleginnen und Kollegen sowie Schülerinnen und Schülern, die Ansprachen hielten musizierten.
Andreas Skorka, ehemaliger Lehrer an der Goetheschule (1974-1989), äußerte sich in seiner Rede zu dem Stolperstein: „Die jüdischen Tode sind immer Einzelschicksale. Jeder Mensch leidet für sich, jede Folter, jede Deformierung und jeder Tod ist ein Einzelschicksal. Der Stolperstein ist äußerst wichtig, denn er gehört keiner anonymen Masse an, sondern einem Dr. Hess. Eigentlich sollte der Stein vor seinem Haus liegen, jedoch war es sinnvoll, dass der Stein nun am Haupteingang des Goethe-Gymnasiums plaziert ist. Nach Schilderungen älterer Schüler war Otto Hess ein sehr begeisterter und begabter Lehrer im Gegensatz zu den anderen. Otto Hess wurde entlassen, wohingegen die anderen Lehrer noch im Schuldienst bleiben durften, da sie Nazis waren. Mit diesem Stein kann man an dieser Schule Geschichte machen.“
Diese Geschichte ist nun zu uns zurückgeholt worden, und zwar durch Menschen, die Otto Hess den ihm damals verwehrten Respekt zollen und ihn als Menschen sehen. Als was auch sonst? An dieser Stelle gebührt besonders Frau Janakat ein großer Dank, denn auf ihre Inititative hin wurde die Verlegung erst in den Blick genommen und der Kontakt zu dem Verein hergestellt. Darüber hinaus engagierten sich Herr Beuchel und Herr Henniges bei der Durchführung der Zeremonie. Auch ihnen ein herzliches DANKESCHÖN!
Weitere Impressionen von der Stolperstein-Einweihung