Anlaufstelle im Wesertor: Anthony Yeboahs Kiosk

Ein kleiner Kiosk, unscheinbar hinter einer grauen Fassade, ohne Namensschild und dennoch vielzählig besucht. Hinter dem Vorhang an der Verkaufstheke tritt Antony Yeboah hervor. Er ist der Besitzer des Kiosks im Wesertor, direkt gegenüber der Aral-Tankstelle. 

Ein Kunde betritt Yeboahs Kiosk

Die erste Kundin kommt in den Laden, nicht, um sich etwas zu Trinken oder zu Essen zu kaufen, sondern um ihr Paket abzuholen. Antony Yeboahs Kiosk ist nämlich zusätzlich auch eine Paketannahme und -abgabestelle. Die Kundin wartet an den beiden Stehtischen im vorderen Bereich, direkt am großen Fenster, durch das man das Treiben draußen beobachten kann. Im linken hinteren Teil des Ladens befindet sich eine weitere Theke, wo er nach den beiden Paketen der Frau sucht. Obwohl sich eines nicht sofort finden lässt, bleibt er geduldig, lächelt und bietet der Frau an, gemeinsam mit ihm zu suchen. Als sie es schließlich findet, lachen beide. Entschuldigend kommt Yeboah zurück, wird aber sofort von der nächsten Kundschaft aufgehalten. Zuerst zwei, dann immer mehr Jungen kommen hinein, alle, um die begehrten Fußballkarten für die EM zu kaufen. Sie sprechen ihn beim Vornamen an, sind offensichtlich mit ihm vertraut und kommen häufiger zu ihm. 

Yeboah erzählt, er habe den Laden schon seit 2017. Geboren sei er 1961 in Ghana und habe in Deutschland zunächst in Nürnberg gewohnt, bevor er in den 90er Jahren nach Kassel gezogen sei, wo er bis heute gemeinsam mit seiner Frau lebe. Er berichtet: „Ein Bekannter von mir meinte, dieser Kiosk wäre perfekt für mich und hat das hier schließlich für mich organisiert. Finanziert wurde das alles vom Jobcenter, denn sie waren es, die mir das Darlehen gaben.“

Hier gibt es gefühlt alles

Seitdem werden in der Fuldatalstraße 2 neben Süßigkeiten wie Schokolade, Gummibärchen und Marshmallows auch Snacks, Chips und Sonnenblumenkerne oder Instant-Nudeln sowie Getränke angeboten. Zu den Soft- und Erfrischungsdrinks und den alkoholischen Getränken kommt noch allerlei Kleinkram hinzu, von Spielen über Postkarten, CDs, Masken oder Zigaretten. Eigentlich bekommt man bei ihm also alles mögliche. „Der Paketdienst lohnt sich aber insgesamt mehr, weil es ein sicheres Einkommen ist und somit bei der Miete meines Geschäfts hilft“, so Yeboah. 

Er wirkt nicht, als sorge er sich permanent um Finanzen, dennoch gibt es deutliche Schwierigkeiten. „Ich drehe jeden Cent um, zumal bei mir vor vier Jahren eingebrochen wurde. Fast 10.000 Euro waren weg und ich hatte damals keine Versicherung. Es war katastrophal. Ich habe bis heute noch Schulden“, erzählt er. Der Großteil des gestohlenen Wertes bestand aus den Tabakwaren und Zigaretten, die Yeboah im Laden lagerte. An den Fenstern sind ebenfalls noch Spuren des Einbruchs zu sehen, die Tür musste ersetzt werden. Lediglich Dank der Mithilfe einiger Nachbarn konnte der Täter, selbst ein Nachbar und zuvor auch Kunde, überführt werden. „Aber das hat gar nichts gebracht. Von dem Anwalt habe ich 680 Euro bekommen, der Vater des Einbrechers hat mir nichts gegeben, obwohl das Gericht bestimmt hat, dass er mir Geld zahlen muss, weil er arbeitet und gut verdient. Doch obwohl der Anwalt mir 680 Euro gegeben hat, musste ich meinem eigenen Anwalt später wiederum auch noch mal 470 Euro zahlen. Was habe ich also dabei verdient? Nur Stress.“ Man merkt, dass die Geschichte Yeboah verständlicherweise noch immer mitnimmt, trotzdem ist er dankbar für die Hilfe des Weißen Rings. Die Organisation, die Opfern von Verbrechen hilft, habe ihm immerhin 300 Euro zur Verfügung gestellt.

Anthony Yeboah während unseres Gesprächs

Kein Verständnis habe er allerdings gehabt, als der Vater des Einbrechers mit seiner Tochter irgendwann nach dem Vorfall in den Laden kam und etwas gekauft habe, ohne sich für seinen Sohn oder die Schäden, die Anthony Yeboah davontrug, zu entschuldigen. Ebenso saß der Einbrecher selbst irgendwann nach seiner Tat draußen vor der Tür, als wäre nichts geschehen. „Ich würde ihm vergeben, wenn er sagen würde, dass es ihm leidtut. Das würde mir reichen, denn das Geld bekomme ich sowieso nie wieder. Aber wenn man einfach so tut, als wäre alles wie immer, dann kann ich auch mal sauer werden“, so Yeboah.  

Abgesehen von diesem Vorfall hat er allerdings schöne Momente in seinem Laden erlebt und scheint gerne dort zu arbeiten, weil die Arbeit mit Menschen ihm viel bedeutet. „Es darf nicht nur ein Kiosk sein“, stellt er fest. An den kleinen Stehtischen bleiben seine Kunden auch einmal länger. Das leichte Chaos und Yeboahs Ausstrahlung scheinen vertrauenerweckend zu wirken. Seine Aufgeschlossenheit und ruhige Art führen dazu, dass viele ihm durchaus auch Privates erzählen. Ein Junge, der Streit mit seinen Eltern aufgrund aggressiven Verhaltens in der Schule gehabt habe, habe sich ungerecht behandelt gefühlt. Als er Yeboah traurig davon erzählte, habe Yeboah ihm geholfen zu verstehen, weshalb er keine anderen Kinder schlagen dürfe. Auch wenn der Junge sich anfangs gesträubt habe, habe er sich schließlich in der Schule entschuldigt, erzählt Yeboah glücklich und stolz. 

Die Süßigkeiten sind nicht der einzige Anlass, um den Kiosk aufzusuchen

Er unterhält sich allerdings auch über Alltägliches gerne, oftmals bleiben Kunden auch länger, weil er weit mehr als nur ein Verkäufer ist – er ist zu einer wichtigen Persönlichkeit im Stadtteil geworden, weil es ihm um die Art gehe, wie man mit Menschen umgeht und darum, einen Raum für Gespräche zu bieten. Die meisten Kunden, die hereinkommen, kennt er persönlich. Für die Jungen scheint es beinahe eine Art Treffpunkt zu sein. Sieben Jungen kommen immer wieder abwechselnd herein, um sich noch ein Päckchen Fußballkarten zu kaufen. Yeboah unterhält sich mit ihnen über die besonderen Spieler, ist selbst gespannt, ob die Jungen wertvolle Sammelkarten erwischen. Einer erzählt, er gehe aufs Goethe-Gymnasium und komme nach der Schule gerne hierher, um sich Karten oder andere kleine Süßigkeiten zu kaufen. „Es ist so schön einfach“, sagt er. 

Neben all den Jungen, die immer wieder hereinkommen, sind während des Gesprächs noch elf weitere Kunden dort, zum Päckchen abholen, Päckchen abgeben, für Getränke, Süßes oder Zigaretten. Ein Mann kritisiert die Öffnungszeiten eines anderen Kiosks und erzählt, dass er so gerne hier sei, weil er Anthonys Entspanntheit schätze. Yeboah aber wertschätzt die Arbeit, die auch der andere Kiosk leistet, weil er weiß, wie anstrengend die Arbeit sein kann. Er muss alles selbst organisieren, sich um alles kümmern. Da seien Pausen enorm wichtig. 

Außerdem erzählt er, dass er mit dem Großteil seiner Kunden eng befreundet sei. „Viele Kunden sind Busfahrer und rufen schon 10 Minuten vorher an, fragen: ‚Anthony, machst du mir einen Kaffee?‘“, so Yeboah. Außerdem erzählt er, dass seine Kunden sich um ihn gekümmert haben, als sein Bruder starb. Ein Freund und Kunde habe zwei volle Tüten mit Essen, das Yeboah selbst sich gar nicht leisten könnte, gebracht, weil man der Tradition nach bei einem Todesfall für die Hinterbliebenen Essen mitbringt. 

Doch auch viele andere waren für ihn da. „Alle haben angerufen und sind hergekommen, viele davon sind KVG-Fahrer, die ich kennengelernt habe. Es ist schön, so gute Freunde hier zu haben.“ Er kenne auch einige Muslime und habe deshalb Ramadan, das muslimische Fasten, mitgemacht. „Sehr viele haben mir Essen gebracht. Immer. Ich musste nie kochen“, erzählt er und beginnt, zu lachen. „So etwas gibt es nicht überall“, betont er und erklärt, dass es bei ihm keine Einsamkeit gebe. So erzählt er davon, wie auch die Kinder sich für ihn einsetzten, nach dem Einbruch sogar Geld sammelten. Deshalb habe er es auch ihnen überlassen, einen neuen Namen für den Kiosk zu finden. Schließlich sei ein Junge namens Yusuf voller Stolz zu ihm gekommen und meinte, den perfekten Namen gefunden zu haben. Wie er darauf gekommen ist, weiß niemand. Dennoch gefällt der Name sowohl Yeboah als auch den anderen Kindern und so wird bis Mitte Juli wohl im Laden umgeräumt, ein bisschen Ordnung geschaffen und draußen eine Markise für mehr Gemütlichkeit sowie ein Schild mit dem neuen Namen über der Tür angebracht: „Wesercoast“. 


  • Tamina Fohrmann

    Tamina spielt Basketball, Tischtennis und Geige, forscht und gärtnert. Sie interessiert sich sehr für Psychologie, Ernährung und Jura. Sie liebt es, zu lesen, zu schreiben und Zeit draußen mit Freunden zu verbringen. Ungerechtigkeit kann sie überhaupt nicht leiden.



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