Bah Humbug!

Bah Humbug! Dieser Ausruf soll verdeutlichen, welch Verschwendung, falsche Freude, vergeudete Zeit und Konsumsucht Weihnachten eigentlich ist. Er spiegelt all das in zwei Worten wider, was Ebenezer Scrooge über Weihnachten denkt. Auch wenn Charles Dickens‘ Werk A Christmas Carol bereits 1843 geschrieben wurde, ist es auch heute noch eine zeitlose Hymne nicht nur auf Weihnachten, sondern vor allem auf Liebe, Großzügigkeit, Güte und Einsicht. Seit vielen Jahren wird Dickens‘ Werk vielerorts im Advent aufgeführt und wir hier in Kassel hatten sogar das Glück, es in der Originalsprache, auf Englisch, zu bestaunen und zu verfolgen, was aus dem geizigen, egoistischen und kaltherzigen alten Mann am Ende wohl wird. 

Am 7. Dezember war die E01 gemeinsam mit ihrer Lehrerin Frau Beuchel (Englisch, Russisch) im Schauspielhaus des Staatstheaters Kassel, um die Aufführung von A Christmas Carol zu besuchen, vorgeführt von der American Drama Group. Die Vorführung war vollkommen ausgebucht. Kein Wunder, denn die American Drama Group führt die Weihnachtsgeschichte seit 1978 nicht nur jährlich in Kassel, sondern in vielen deutschen Städten mit großem Erfolg auf. 

Zu Beginn betritt Charles Dickens die Bühne. Adrett gekleidet und mit einer Kerze in der Hand, beginnt er, den Zuschauern sein Werk zu erklären. Auch wenn leider nicht der echte Charles Dickens aus dem Jahre 1843 vor uns steht, ist es ein gelungener Einstieg, der auf die Geschichte einstimmt. Nachdem Dickens verschwunden ist, betritt Ebenezer Scrooge die Bühne. Zurückgezogen, unfreundlich und verächtlich wirkt er abstoßend und ungerecht, vor allem im Vergleich zu allen anderen Menschen, die um ihn herum lachen und tanzen, die gutherzig für Bedürftige um Geld bitten. 

Nachts, als Scrooge Nachthemd und Mütze trägt und in seinem Bett im Zentrum der Bühne liegt, begegnen wir alle Jacob Marley. In Ketten gefangen, die sein Laufen behindern und jeden Schritt mit Leiden zu versetzen scheinen, tritt er an Ebenezers Bett heran. Mit seiner Stimme voller Unglück wirken seine Worte an seinen ehemaligen Geschäftspartner wie eine Drohung. Es ist erstaunlich, dass sich überhaupt jemand dafür interessiert, Scrooge eine letzte Möglichkeit zu geben, etwas in seinem Leben zu verändern. Statt in den Ketten seiner Schuld zu trauern und weiter zu verbittern, gibt Marley Scrooge den Tipp, den er selbst zu Lebzeiten nie bekommen oder ernst genommen hat: Scrooge soll den drei Geistern, die ihn in dieser Nacht heimsuchen werden, zuhören und sich künftig liebevoller und großzügiger verhalten.

Als die Uhr nachts um eins schlägt, wird Scrooge tatsächlich von dem ersten Geist heimgesucht. Dieser, gespielt von einer Frau mit blonden Haaren und in weißem Kleid, schafft es, wie ein Engel zu wirken. Weder das Publikum noch Scrooge scheinen Angst vor ihr haben zu müssen. Sie ist gekommen, um die Vergangenheit zu zeigen. Wir begegnen einem tanzenden, lachenden Jungen, der sofort das Interesse daran weckt, was passiert sein muss, damit aus jemandem voller Leben jemand ein solch verbitterter Mensch wie Ebenezer Scrooge hat werden können. Ein Grund dafür ist wohl seine bitter endende Beziehung mit Bell gewesen, dem Mädchen seiner Träume. Die Trennung ist liebevoll und schmerzhaft gespielt, sodass wir beinahe fühlen können, wie Ebenezer verhärtet, als Bell sich von ihm verabschiedet, weil er nicht über seinen Geiz und seien Stolz hinwegkommen kann. 

Auch wenn für einen Moment traurige Stimmung in der Luft hängt, ändert sich diese abrupt mit dem Eintreffen des nächsten Geistes. Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht kommt nicht nur in langem grünen Mantel, mit Dekoration, Lametta und Weihnachtsbaumkugeln überhangen, als verkörpere er den Weihnachtsbaum selbst, er spricht auch laut und den Raum füllend. Er ist, wie sein Name sagt, gegenwärtig und präsent. Zunächst muss man anscheinend auch ihn nicht fürchten. Auf den Reisen mit ihm erleben wir Feiern und Lachen und glückliche Familien. Doch auch er bringt dunkle Geschichten mit sich. Scrooge muss erkennen, dass Timmy, der Sohn seines Angestellten, schwer krank ist, dessen Güte sich immer wieder in seiner großen Dankbarkeit zeigen. „God bless us“ ist eine seiner markanten Aussagen. Die kindliche Unschuld, auch wenn von einem Erwachsenen gespielt, bemerken wir in der sanften Stimme und der Hoffnung, die daraus spricht, obgleich er sich seiner schweren Behinderung, nicht ohne Krücken laufen zu können, bewusst ist. 

Der letzte Geist ist der der Zukunft. Auch wenn wir uns im Publikum nicht fürchten, scheint Ebenezer Scrooge sich sehr unwohl in dessen Gegenwart zu fühlen, denn dieser ist ganz in schwarz gehüllt. Er ist stumm. Er zeigt lediglich mit seinen langen dürren Fingern. So muss Scrooge ganz ohne Vorwarnung entdecken, dass der kleine Timmy zu schwach und krank sein wird, um zu überleben. Scrooge sieht die Eltern am Grab ihres Kindes sitzen und allmählich weicht seine anfängliche Kälte, denn mittlerweile scheint Scrooge sein Verhalten zu bedauern. Uns Zuschauern mag es in diesem Moment egal sein, was aus dem unerträglichen Scrooge wird, aber Timmy, der stets die Herzen seiner Familie wärmt, soll nicht unter dem geringen Einkommen seiner Familie leiden. Um Scrooge aber endgültig wachzurütteln, zeigt der Geist der Zukunft ihm eine letzte Prophezeiung. Inzwischen hat Scrooge begriffen, welche Fehler er begangen hat. Als er seinen eigenen Grabstein sieht, der riesengroß und grün leuchtend auf der Bühne steht, weint und fleht er. Es scheint fast, als frage er nicht nur den Geist, sondern alle Menschen, ob dies sein endgültiges Schicksal sei und er sterben werde oder ob er die Chance bekommt, sich zu bessern. Er erhält keine Antwort – und erwacht in seinem Bett.

Was dann geschieht, ist ein Weihnachtswunder: Aus dem alten Griesgram wird ein fröhlicher Mensch, der sein Glück, noch am Leben zu sein und nicht einmal Weihnachten verpasst zu haben, kaum fassen kann. In seinem Übermut und der weihnachtlichen Freude beginnt er, zu tanzen und zu singen, lässt für seinen Angestellten einen riesigen Truthahn kaufen und nimmt dessen Einladung zum Essen an. 

Besonders scheint es aber alle zu freuen, dass er sich des kleinen Timmy annimmt. Er bezahlt dessen Vater mehr Geld und kümmert sich um Timmy wie ein Großvater. Alles scheint perfekt zu sein. Sowohl auf der Bühne als auch im Theater sind glückliche Gesichter zu sehen. 

Die Vorstellung hat uns alle durchgängig überzeugt. Der freundliche Geist, der dem Engel gleicht, der lebendige Geist, der zwischen weihnachtlicher Freude und mahnenden Worten schwankt, bis hin zum letzten Geist, der gar nicht mehr spricht – von der weißen Unschuld zum bunten Leben zum schwarzen Tod spielen die Schauspieler*innen ihre Rollen zweifelsohne überzeugend. Besonders bei Ebenezer Scrooge konnte man die Veränderungen während des Stückes durch die ausgesprochen glaubhafte Mimik nachempfinden. Am Ende scheint eine sehr zufriedene Stimmung im Publikum zu herrschen, nachdem alle gebeten worden sind, dem Sitznachbarn frohe Weihnachten zu wünschen. Mit großem Applaus wird die American Drama Group verabschiedet und wieder einmal geht ein klassisches und großartig vorgetragenes Stück zu Ende, das uns jedes Jahr über den Sinn von Weihnachten belehrt. 


  • Tamina Fohrmann

    Tamina spielt Basketball, Tischtennis und Geige, forscht und gärtnert. Sie interessiert sich sehr für Psychologie, Ernährung und Jura. Sie liebt es, zu lesen, zu schreiben und Zeit draußen mit Freunden zu verbringen. Ungerechtigkeit kann sie überhaupt nicht leiden.